Wenn der britische Premier ein Abkommen mit der EU findet, muss er das Parlament nicht fürchten. Ungemach droht ihm eher durch die Coronakrise.
Jede Woche einmal bringt Oppositionsführer Keir Starmer von der Labour Party Premierminister Boris Johnson ins Schwitzen. „Wenn Sie nun erklären, dass Sie die Kontrolle übernommen haben, darf man fragen, wer bisher zuständig war?“, hielt Starmer Anfang Juni Johnson vor, als das Land jeden Tag bis zu 350 Covid-Todesopfer zu verzeichnen hatte. Mit einer feinen Linie, in der er einerseits der Regierung „Unfähigkeit“ vorwirft, andererseits bei staatstragenden Beschlüssen Zustimmung gewährt, hat Starmer mittlerweile in Umfragen Johnson längst an Ansehen überholt. Ein Thema aber hat der Labour-Führer bisher unter allen Umständen vermieden: den Brexit.
Denn während sich Johnsons Konservative unter seiner Führung zu einer geschlossenen Brexit-Partei wandelten, ist der EU-Austritt für die führende Oppositionspartei immer noch eine offene Wunde. Es war in den roten Hochburgen im Norden Englands, die im Juni 2016 für den Brexit gestimmt hatte, wo sich Johnson bei der Wahl vor einem Jahr seine historische Mehrheit holte. Während eine der Basis entfremdete Labour-Elite im prosperierenden London die neunundneunzigste parlamentarische Finesse gegen den Willen des Volkes einfädelte, folgten ihre einstigen Wähler dem schlichten Versprechen Johnsons, „den Brexit zu erledigen“. Vornweg bei den Manövern im Unterhaus war damals Starmer.