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Der vergessene Autor von „Citizen Kane“

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Regisseur Orson Welles wurde mit „Citizen Kane“ zur Ikone, der Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz geriet in Vergessenheit. Durch dessen Augen blickt David Finchers raffinierte Netflix-Produktion „Mank“ nun auf die Entstehung des Kinoklassikers – und die Blütezeit Hollywoods.

Kräht heute noch jemand nach „Citizen Kane“? Lang gab es kein Vorbeikommen an Orson Welles' Hollywood-Einstand: Sein Ruf als „bester Film aller Zeiten“ schien einzementiert. Kaum eine Auflistung kanonischer Kinoklassiker ließ ihn unerwähnt, vielen Gatekeepern der Filmkultur galt er als Meisterwerk par excellence.

Warum? Vielleicht, weil seine Entstehungsgeschichte die Grundelemente inspirierender Geniefantasien bündelt: Begnadeter Quereinsteiger zimmert ein Leinwanddrama für die Ewigkeit, stellt sämtliche Konventionen auf den Kopf, wird erst von einem kunstfeindlichen Studiosystem verschmäht und später von Kritikern als Wegbereiter der filmischen Moderne gefeiert.

Womöglich liegt der Kultstatus von Welles' vielschichtiger Moritat über den schleichenden Selbstverlust eines ehrgeizigen Medienmoguls aber auch an ihrem formalästhetischen Reichtum, der sie zu erstklassigem Anschauungsmaterial für die erzählerischen Entfaltungsmöglichkeiten des Kinos macht. Doch von einer überragenden Sonderstellung kann keine Rede mehr sein. Die Filmgeschichte befindet sich im Umbruch – und damit auch ihre Mythen.

Davon zeugt David Finchers „Mank“, ab Freitag auf Netflix: eine „Kane“-Hommage, die keine sein will. Der Vorspann verspricht vertraute Legenden. Eine falsche Fährte: Im Mittelpunkt steht nicht Welles, sondern Herman J. Mankiewicz. Ein bescheidener Drehbuchautor im Schatten von Giganten. Seinen Beitrag zum „Citizen Kane“-Skript postulierte die Kritikerin Pauline Kael 1971 in einem Essay als maßgeblich (und sträflich vernachlässigt). Ihre umstrittenen Thesen dienen Fincher als Ausgangspunkt.

Mank war einst Teil des Hollywood-Establishments 

Er nutzt die Perspektive des vergessenen Co-Autors, um Hollywood aus der zweiten Reihe in den Blick zu nehmen. Wie „Citizen Kane“ springt sein Film dabei zwischen den Zeitebenen hin und her. Ein Strang spielt 1940 und schildert die Bemühungen der alkoholsüchtigen Hauptfigur (verkörpert von einem ungewohnt zurückhaltenden Gary Oldman), seinen schwindenden Kräften ein Opus magnum abzuringen – im Hüttenrefugium und unter Aufsicht zweier Pflegerinnen (Lily Collins und Monika Gossmann).

Das führt über Rückblenden in die Depressionsära, als Mankiewicz noch Teil des Hollywood-Establishments ist. Sein sprühender Witz und sein scharfer Verstand machen ihn allseits beliebt. Auch beim Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst (Charles Dance), dessen Lebensgeschichte „Citizen Kane“ inspirierte – und bei Hearsts Geliebter, der Schauspielerin Marion Davies (Amanda Seyfried). So fügt sich Stück für Stück ein Industrie-Mosaik aus verstreuten Momentaufnahmen. Klischees entspricht es nur bedingt: Glanz und Elend der Traumfabrik werden aufgezeigt, aber nicht überspitzt.

Seine Grundspannung zieht der Film aus dem stetigen Widerstreit zwischen Sein und Schein. Halbwahrheiten und Gerüchte halten die Filmwirtschaft am Laufen und die Belegschaft bei der Stange. Als der Sozialist Upton Sinclair für den kalifornischen Gouverneursposten kandidiert, produziert Hearst mit Hollywoods Unterstützung Fake News gegen die rote Gefahr. Mankiewicz wird zum unwillkürlichen Komplizen. Er hat den Durchblick, ist indigniert – und kann doch nur tatenlos zusehen.

Der „Zauber“ Hollywoods am Pranger

Darin liegt eine Besonderheit von „Mank“, der in vieler Hinsicht dem Idealtypus eines selbstbespiegelnden Oscar–Gewinners entspricht: Wo andere Hollywood-Porträts den Schattenseiten der Branche die „Magie des Kinos“ entgegenhalten, stellt er diesen Zauber an den Pranger, wittert hinter seinen Kulissen einen inhärenten Hang zur Verschleierung, der leicht instrumentalisiert werden kann. Und dazu führt, dass talentierte Randfiguren wie Mankiewicz selbst unter den Teppich der Historie gekehrt werden.

Doch „Mank“ ist nicht der einzige, dem Fincher ein Denkmal setzt. Auch seinem Vater, Jack Fincher, erweist er posthume Reverenz: Von ihm stammt das sprunghafte Skript dieses Herzensprojekts. Nicht nur dessen raffiniertes Dialog-Pingpong hat etwas charmant Altmodisches. Auch sonst ist alles an „Mank“ minutiös auf retro getrimmt: von den erlesenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des „Mindhunter“-Kameramanns Erik Messerschmidt über den sanft gedämpften Mono-Ton bis hin zum Bernard-Herrmann-Gedenksoundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross. Wie vielem im Film eignet auch dieser Vintage-Patina ein Hauch bitterer Ironie. Ist sie doch eine digitale Ode an die Blütezeit des analogen Film – produziert von „Netflix International Pictures“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2020)

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