Pizzicato

Babyelefant und Fake-Fluch

Leon County, Florida
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Als „österreichisches Wort des Jahres 2020" wurde der oft belachte heimische Urmeter des Corona-Distancings gewählt. Mit dem „Spruch des Jahres" hat es indes eine spezielle Seltsamkeit an sich.

Wie jedes Jahr kreißten die Buchstabenberge, doch sie gebaren heuer keine lächerliche Maus, sondern einen Babyelefanten. Der nämlich wurde von der Gesellschaft für Österreichisches Deutsch in Graz, der APA und einer Jury zum „österreichischen Wort des Jahres 2020" gewählt.

Das Wort, vom Kanzler nach Einflüsterung durch eine Werbeagentur als Richtmaß des Abstands zwischen Menschen wegen Corona eingeführt und viel belacht, habe „Eingang in die Alltagssprache gefunden, vielfach mit einem Augenzwinkern", so die Jury. Also dass ein Fant just bei uns zum Urmeter des Social Distancing wurde, liegt wohl daran, dass er für Bewohner urbaner Räume heute leichter vorstellbar ist als ein autochthones Kälbchen, aber wurscht. Woanders dienen andere Tiere als Maß, etwa Alligatoren, Kängurus, Tiger, Elche und Bären in Staaten wie Australien, den USA, Kanada.

„Positiver Spruch 2020" indes wurde „Schleich di, du Oaschloch". Das rief angeblich ein Wiener dem islamistischen Terroristen nach, der am 2. November in Wiens Innenstadt wütete und vier Menschen erschoss.

Nun, das ist freilich eine interessante Wahl: Denn der Spruch stimmt objektiv so nicht. Auf dem Video dazu, das noch immer in den Tiefen des Internets grundelt, hört man nämlich ganz klar bloß das Wort „Arschloch" (Sekunden später gefolgt von einem anderen, englischen Schimpfwort). Und das auch noch in bundesdeutschem Ton, ohne „Oa", aber auch ohne ein betontes „R" wie etwa in Bayern.

Der mittlerweile verbreitete und als „typisch wienerisch" gefeierte Slogan ist ein Massentäuschungsphänomen, ein Fake-Fluch, kolportiert sogar von Journalisten, die als renommiert gelten oder sich dafür halten. Aber okay: Inhaltlich passt er ja eh. Und wenn's dem richtigen Zweck dient, drückt man bei der Richtigkeit halt gern ein Auge zu.

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2020)

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