Abschiebung der Roma: Rassismus-Vorwurf gegen Sarkozy

Sarkozy Sarkoezi Roma
Sarkozy Sarkoezi Roma(c) EPA (ALIN MATEI)
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Nach Italien setzt nun auch Frankreich auf harsche Polizeimaßnahmen gegen Roma. Präsident Nicolas Sarkozy erntet damit Kritik – auch von den Roma im burgenländischen Oberwart.

Sie wurden aus dem Schlaf gerissen und abgeführt. Dann walzten Bulldozer ihre Wohnwagen, Hütten und Zelte nieder. Die Menschen haben alles verloren.“ Coralie Guillot von der Hilfsorganisation „Parada“ erinnert sich an den Morgen, an dem 75 Beamte der Ordnungspolizei das Roma-Lager im Quartier Hanul räumten. Es war eines der ältesten in der Region Paris und seit zehn Jahren von den Kommunalbehörden von Saint-Denis geduldet. „Brutal“ seien die Beamten vorgegangen, sagt Guillot.

Die Polizisten führten den Befehl des französischen Innenministers Brice Hortefeux aus, der alle für illegal erklärten Lager abreißen und Tausende Roma nach Rumänien und Bulgarien abschieben lassen will. Weil sie überproportional für Kriminalität verantwortlich seien, wie er behauptet: „Es gibt keine Statistik zur Straffälligkeit bestimmter ethnischer Gruppen, aber die Zahl von Straftaten rumänischer Staatsangehöriger hat vergangenes Jahr um 138 Prozent zugenommen.“

Hortefeux setzt die neue Sicherheitspolitik von Präsident Nicolas Sarkozy um – eine Politik, die in Frankreich und im Ausland für immer mehr Kritik sorgt. Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg warf Sarkozy am Samstag „Rassismus“ vor. Der UN-Ausschuss gegen Diskriminierung verlangte von Paris, keine Roma mehr in Gruppen abzuschieben. Und die Europäische Kommission will prüfen, ob die Rückführung rumänischer und bulgarischer EU-Bürger gegen europäisches Recht verstößt. Sogar mahnende Worte aus Österreich sorgten in Frankreichs Medien für Aufsehen. Denn sie kamen vom Namensvetter des französischen Präsidenten, von Rudolf Sarközi, dem Obmann des österreichischen Roma-Volksgruppenbeirats (siehe Interview).

Der Chef im Elysée-Palast und sein Innenminister bleiben aber hart. „Die Roma werden nicht ausgewiesen, weil sie Roma sind“, sagt Hortefeux. „Wir wenden nur das Gesetz an, denn man besetzt nicht illegal Grundstücke.“

Lager zwischen Abbruchhäusern. Nur ein paar hundert Schritte vom Sportpalast des „Stade de France“ entfernt entsteht im Norden von Paris zwischen Saint-Denis und Aubervilliers ein neues Roma-Lager. Auf vier Parzellen, die der Stadt gehören, errichten Roma zwischen Abbruchhäusern mit zugemauerten Fenstern Unterkünfte aus Brettern. Sie wurden zuvor aus einem Wohnwagencamp vertrieben.

Einige der neuen Hütten sehen schon bewohnbar aus. Die meisten Roma aber schlafen noch in Zelten, wie sie die Hilfsorganisation „Médecins du Monde“ in Paris an Obdachlose verteilt. Neben den Zelten liegt Hausrat, stehen Möbelstücke, die gerade noch verwendet oder weiterverkauft werden können. Ein junger Mann legt eine tiefgefrorene Lammkeule zum Auftauen an die Sonne. Die Menschen versuchen mit Schwarzarbeit, Alteisenverkauf und Betteln zu überleben.


Suche nach Schlafplatz. Die 14-jährige Bianca ist in Frankreich geboren und zur Schule gegangen. Von Rumänien, dem Land, aus dem ihre Eltern gekommen sind, weiß sie nur, dass es dort für Roma weder Wohnung noch Arbeit gibt. Das Camp, in dem sie zuvor gelebt hatte, wurde im Juli von der Polizei geräumt. Danach begann die Suche nach einem neuen Schlafplatz. Denn nur wenige der 200 Roma aus dem geräumten Lager sind nach Rumänien zurückgebracht worden.

Die, die gehen, tun es nach Auskunft der französischen Regierung „freiwillig“. Um dabei nachzuhelfen, erhalten die Heimkehrer pro Kopf eine Rückreiseprämie von 300 Euro. Mehr als 8000 Roma wurden seit Jahresbeginn laut Innenministerium bereits aus Frankreich abgeschoben, im gesamten vergangenen Jahr waren es 10.000.

„Mit diesem Geld kauft man den Menschen das Recht ab, sich in der EU frei zu bewegen“, kritisiert Margareta Matache von der Roma-Organisation „Romani Criss“ in Bukarest. Zurück in Rumänien stehen die Ausgewiesenen meist vor dem Nichts. „Sie haben kaum Chancen, sich sozial zu integrieren.“

Acht bis zehn Millionen Roma leben in Europa, 70 Prozent davon in Ost- und Südosteuropa. Viele von ihnen sind an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und das schon seit Generationen. „Die Lage dieser Menschen hat sich in den vergangenen Jahren sogar verschlechtert“, berichtet Roma-Expertin Nidhi Trehan. Während des Kommunismus hatten viele osteuropäische Roma in großen Staatsfabriken gearbeitet – meist unrentablen Betriebsmolochen, die nach dem Umbruch aufhörten zu existieren. Viele Roma-Familien glitten in die Arbeitslosigkeit ab und blieben in ihr gefangen. Zwar gebe es auch viele gut ausgebildete Roma, so Trehan. Am Arbeitsmarkt würden sie aber trotzdem benachteiligt, sobald ihre Herkunft klar werde. Da sie in ihren Ländern keine Chance auf eine Zukunft sehen, emigrierten in den vergangenen Jahren zahlreiche Roma nach Westeuropa. Und Staaten wie Italien und Frankreich reagierten darauf mit immer harscheren Polizeimaßnahmen. Italiens Behörden begannen schon vor Monaten mit der massenhaften Räumung von Roma-Lagern. Angefeuert von Frankreichs Vorgehen versprach Italiens Innenminister Roberto Maroni nun, weitere Siedlungen aufzulösen.

Margareta Matache von „Romani Criss“ befürchtet auch Auswirkungen auf Rumänien: „Erst neulich wurden Roma-Häuser bei Tirgu Mureş zerstört und die Bewohner vertrieben, ohne ihnen Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Die Beamten sagten: Wenn die Franzosen das tun, dürfen wird das auch.“

In ganz Osteuropa machen rechtsextreme Parteien gegen Roma mobil, nützen „die Zigeuner“ als leichtes Ziel, als Sündenböcke, um in der Wirtschaftskrise auf Stimmenfang zu gehen. In Ungarn ist die Saat der Gewalt bereits aufgegangen. Eine Mordserie an Roma hat das Land in Atem gehalten – an Roma, die gut integriert waren.

Auch in Österreich führte Hass auf Roma zu einem mörderischen Anschlag – am 4. Februar 1995 im burgenländischen Oberwart. Den Knall hörte Julius Berger damals nicht, obwohl die Fenster zitterten, als wäre ein paar Straßen weiter ein Tankwagen explodiert. Das zumindest vermuteten die Nachbarn. Berger hatte ferngesehen an dem Abend und war dann eingeschlafen. Die traurige Nachricht erreichte ihn erst Stunden später. Es war kein Tankwagen, sondern eine Rohrbombe, die kurz vor Mitternacht in unmittelbarer Nähe der Roma-Siedlung detoniert war. Die Sprengfalle des Attentäters Franz Fuchs riss vier Männer in den Tod. Peter Sarközi hieß einer, 27 Jahre jung. Er war Julius Bergers kleiner Bruder. „So einen Tag vergisst du nicht“, sagt Berger, 43, ein kleiner Mann mit Oberlippenbart und schütterem Haar. „Aber so ist das Leben: Man kann es nicht ändern.“ Ein Kreuz am Ort des Anschlags und ein Denkmal auf einer Anhöhe ein paar Schritte weiter erinnern an die Opfer.

Keine 50 Meter entfernt von der Stelle, an der sein Bruder das Leben lassen musste, sitzt Julius Berger auf der Terrasse seines Schwagers, trinkt Kaffee und raucht Zigaretten. Auf dem Tisch liegen frische Herrenpilze.

Anerkannte Volksgruppe. Es gibt ungemütlichere Flecken Erde als die Roma-Siedlung in Oberwart, inmitten der pannonischen Ebene, zwischen Wald und Wiesen, und trotzdem nicht weit entfernt vom Stadtzentrum. An die 100 Menschen leben hier in typisch burgenländischen Einfamilienhäusern. In den Gärten spielen die Kinder. „1972 haben sie uns hierher verfrachtet“, erzählen die Männer. Mittlerweile ist die Siedlung beinahe schon zusammengewachsen mit der Stadt.

Die Roma-Sprache Romanes wird in der Siedlung nur noch von den Alten hochgehalten. Und nicht jeder wurde mit seinem aktuellen Familiennamen geboren: Die Bergers zum Beispiel haben den Namen ihrer Frauen angenommen. Christian Berger hieß vor der Hochzeit Christian Horvath, und Julius Berger wurde als Julius Sarközi geboren – Sarközi so wie Frankreichs Präsident, nur etwas anders geschrieben. Ein Berger habe es im Leben halt leichter als ein Sarközi, sagen sie.

Diskriminierungen gehören immer noch zum Alltag, wenn sie auch deutlich weniger geworden sind im Laufe der Jahre. Heute sind die Roma in Österreich eine offiziell anerkannte Volksgruppe mit allen Rechten. Julius Bergers Sohn Christopher, heute 21 Jahre, wurde noch in der Volksschule versetzt, weil eine Mutter nicht wollte, dass ihr Sohn neben einem Rom sitzt. Die Männer erzählen auch eine Geschichte vom Arbeitsmarktservice, die eine Betreuerin ausgeplaudert habe: Vor nicht allzu langer Zeit sei bei vielen Stellenanzeigen im AMS-Computer noch „keine Roma“ dabeigestanden.

»Sarkozy ist ja selbst ein Zigeuner«. In Oberwart sind auch die Lage der Roma in Frankreich und Präsident Sarkozy ein Thema: „Was dort passiert, ist doch ein Grausen“, schimpft Julius Berger, der einmal Sarközi geheißen hat. Zurücktreten solle er, „dieser rassistische Zwerg“, und „heimgehen nach Ungarn, damit er weiß, wo er herkommt“. Mag sein, dass ein entferntes Verwandtschaftsverhältnis besteht zwischen dem französischen Präsidenten und dem Rom in Oberwart, wer weiß das schon? „Der Sarkozy ist ja selbst ein Zigeuner“, sagt Schwager Christian Berger halb feixend und halb im Ernst.

Was sich die pannonischen Roma wünschen? „Dass unsere Leute gerecht behandelt werden und die gleichen Chancen bekommen wie alle anderen auch. Das muss im Jahr 2010 doch möglich sein.“ Und sie wünschen sich ein Ende jener Szenen wie in Hanul bei Paris, wo Bulldozer im Morgengrauen eine Roma-Siedlung niederwalzten

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2010)

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