Podcast

Musiksalon Nr. 29: Bruckners Leiden

Am Sonntagvormittag dirigiert Christian Thielemann ohne Publikum, aber für ein Live-Streaming auf myfidelio.at eine philharmonische Aufführung von Anton Bruckners Dritter Symphonie im Musikverein. In diesem Fall hat der Dirigent die Qual der Wahl: Es gibt drei Fassungen!

Anton Bruckners Wiener Leidensweg erreichte mit der Uraufführung seiner Dritten einen traurigen Höhepunkt. Am Ende der Aufführung hatte der Großteil des Publikums den Musikvereinssaal verlassen. Nur ein Häuflein Aufrechter applaudierte - und die Kritik reagierte hämisch. Erst die letzte Version, die er von dieser Symphonie arrangierte, fand Anfang der 1890er Jahre begeisterte Zustimmung.

Im Musiksalon bringen wir heute die wichtigsten Unterschiede zwischen den drei Fassungen der Dritten zum Klingen.

Der tiefe Fall eines Komponisten

Für die wenigsten Musikfreunde galt Bruckner zum Zeitpunkt der missglückten Premiere als das, was er tatsächlich war: der größte Symphoniker seiner Zeit. Einer der zuletzt Anwesenden, ein blasser sechzehnjähriger Musikstudent aus Mähren, gratulierte dem zutiefst zerstörten Meister und machte sich erbötig, den Klavierauszug der Symphonie anzufertigen. Er hieß Gustav Mahler.

Auch ein anderer bedeutender Komponist fand diese d-Moll-Symphonie großartig - und ließ sie sich sogar widmen: Richard Wagner war von der Symphonie „bei der die Trompete das Thema hat“ höchst angetan. Sie ging denn auch als „Wagner-Symphonie“ in die Geschichte ein, was ihr im Wagner-skeptischen Wien anno 1877 eher geschadet als genützt hat.

Getilgte Wagner-Zitate

Dabei hatte Bruckner mit einer Ausnahme alle Wagner-Zitate getilgt: Im „Musiksalon“ hören wir Passagen aus der „Walküre“ und dem „Lohengrin“, die anlässlich der Aufführung unter Christian Thielemanns Leitung am Sonntagvormittag nicht zu hören sein werden, denn der Dirigent wählte die Fassung der Uraufführung von 1877 - die gegenüber dem Original bereits bedeutend verkürzt ist.

Nur in einem Moment hat Bruckner 1877 etwas hinzugefügt, was er in der letzten, noch weiter verkappten Revision der Partitur, die dann endlich ein Erfolg wurde, wieder rückgängig gemacht hat: Das Scherzo endet 1877 - und daher auch dieser Tage im Wiener Musikverein - mit einer eigens eingefügten Coda.

Die Bruckner-Tragödie

Bruckner hatte neben seiner Unterrichtstätigkeit am Konservatorium in seinen frühen Wiener Jahren zwischen 1872 und 1875 Jahr für Jahr eine neue Symphonie fertiggestellt, war also bereits bis zur Fünften, der B-Dur-Symphonie gelangt, als sich endlich eine Gelegenheit bot, nach einem Riesenerfolg mit der Zweiten auch die Dritte in einem philharmonischen Konzert zur Uraufführung zu bringen.

Der eklatante Misserfolg bedeutete nicht nur für Bruckner, der in tiefe Depressionen verfiel, einen Rückschlag, sondern war vermutlich für einen katastrophalen Verlust für die Musikwelt ausschlaggebend. Mit dem Premierenfiasko setzte bei dem stets unsicheren Bruckner ein Umarbeitungs-Wahn ein, der ihn vom Komponieren neuer Symphonien abhielt. Hätten die Wiener die Dritte einst akzeptiert, wir hätten vermutlich mehr als acht vollendete, dazu zwei nicht nummerierte und eine unvollendete Bruckner-Symphonie im Repertoire...  

Im Musiksalon sind Ausschnitte aus folgenden Aufnahmen zu hören:

1. Fassung: SWR-Orchester, Roger Norrington (hänssler)

2. Fassung: Chicago Symphony, Georg Solti (Decca)

3. Fassung: Staatskapelle Dresden, Eugen Jochum (EMI/Warner)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.