Die wahren Reisen sind im Kopf: Wie mich mein Handy in den Regenwald Kongos und zu den Dandys von Brazzaville entführt.
Seit uns die Obrigkeit das Reisen verboten hat, will ich von meiner Wetter-App nur noch wissen, ob es im Wienerwald am Wochenende genauso trist wird wie in Wien. Traurig, was? Gottlob hat mein Smartphone einen Defekt: Das GPS ortet mich in „Sangha“. Dort hat es wohlige 33 Grad, in der Nacht noch 23 – und das konstant! Die von Fernweh getriebene Recherche ergibt: eine Region im Norden der Republik Kongo, mitten im Regenwald. Man trifft dort auf viele Elefanten, Rotbüffel und Riesenwaldschweine, aber nur auf einen Menschen pro km2, und der ist dann oft ein Pygmäe – exotischer geht es kaum.
Ortsbasierte soziale Netzwerke entführen mich in den nächsten Ballungsraum, die Hauptstadt Brazzaville. Dort wollen mich schon eine Menge Leute kennenlernen, weil sie mich in ihrer Nähe wähnen. Diese neue Form von Städtepartnerschaft hat doch was, oder? Ich weiß: Ohne rosa Reisebrille betrachtet ist das Land arm, von Korruption geplagt und einem Diktator unterjocht. Aber Touristen-Blogs verheißen mir: Das tue der gelassenen Stimmung und dem französischen Kolonialcharme keinen Abbruch.
Auch dank der „Sapeurs“: Dandys, die ihren kargen Sold in sündteure Designermode stecken und so die staubigen Gassen der Stadt zum Laufsteg machen. Neuerdings gesellen sich auch Frauen dazu, auch sie im Anzug, eine Form der Emanzipation. Ich träume von einer Safari mit Sapeurs und Sapeusen, auf dem Rücken von Elefanten. Ja, wir Menschen sind Mängelwesen. Aber eines haben wir im Übermaß, und niemand kann es uns nehmen: die Kraft der Fantasie.
Nächste Woche: Gabriel Rath
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2020)