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„The Prom“: Promis und Pöbel singen vereint

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Im Netflix-Musical „The Prom" wollen scheiternde Broadway-Stars einen Diskriminierungsfall für Imagezwecke nutzen. Schrill, charmant, aber nicht so selbstkritisch wie erhofft.

Hurra, die Stars sind da! Auf hohem Ross und mit geschwellter Brust drängen sie ins Rampenlicht. Die Welt ist schlecht. Doch keine Angst: Wenn die Prominenz sich ins Zeug legt, wird sie im Nu wieder gut! Kein Missstand, der nicht mit engagierter Öffentlichkeitsarbeit seitens der schönsten, klügsten, beliebtesten und bescheidensten Menschen auf diesem Planeten behoben werden könnte. Sie – und nur sie – sind imstande, unser irdisches Jammertal auf Vordermann zu bringen. Oder etwa nicht? Was nach maßloser Selbstüberschätzung klingt, zählte lange Zeit zum Grundgedankengut der Unterhaltungsindustrie. Und erreichte zuletzt einen peinlichen Höhepunkt, als sich halb Hollywood dazu aufschwang, Schmerz und Stress der Pandemie per Instagram-Darbietung von John Lennons „Imagine“ zu lindern. Es hagelte Spott und Häme. Was wohl nur die Verhöhnten überraschte.

»In Hollywood wandelt sich die Selbstüberschätzung nun langsam zur Selbsterkenntnis.
«

Aber es brachte auch späte Selbsterkenntnis. Dass Promis bisweilen bei ihren Leisten bleiben sollten (oder zumindest weniger selbstgerecht auftreten könnten), dringt langsam auch hinter die Hecken von Beverly Hills. Die Wut, die vielen Berühmtheiten entgegenschlägt, hat sie stutzig gemacht.

Jedenfalls erweckt die jüngste Netflix-Produktion „The Prom“ diesen Eindruck. Satt besetzt und botschaftseifrig, eignet ihr doch ein gerüttelt Maß an Selbstironie. Auch dieses schillernde Lehrstück will die Welt retten. Bloß nicht mehr von oben herab, sondern auf Augenhöhe mit dem Pöbel.

New York. Als ein Musical über Eleanor Roosevelt von der Kritik vernichtet wird, sind die Urheber ratlos. Schuld sei nicht die Show, meint der Produzent, sondern die narzisstischen Hauptdarsteller. Eitelkeit komme nie gut an. Was tun? Ganz klar: Eine „Sache“ muss her. Irgendeine soziale Ungerechtigkeit, für die man imageaufwertend Lanzen brechen könnte.

Welch ein Glück: In einem Kaff in Indiana wurde soeben der Schulabschlussball abgesagt! Eine lesbische Teenagerin wollte ihre Freundin zum Tanz bitten, was der Gemeinde nicht in den Kram passt. Skandal! Also tingeln die Musiktheaterfuzzis ins republikanische Kernland, um den Hinterwäldlern die Leviten zu lesen. Völlig selbstlos. Und medienwirksam. Mit Pauken und Trompeten platzen sie in eine Bürgerversammlung. Und ergreifen Partei für . . . wie hieß das Opfer noch mal? Egal. „It's not about me“, trällert die alternde Diva Dee Dee (Meryl Streep) lautstark und im roten Samtüberwurf. Wer's glaubt, kriegt ein Autogramm.

Schwächelndes Konzept. Trällert? Ja. „The Prom“ ist nämlich selbst ein Musical. Ein waschechtes, bühnenerprobtes Broadway-Musical, das 2016 in den USA Premiere feierte (und auf einem realen Diskriminierungsfall basiert). Der Beschwingtheit, die dieser Entertainment-Spielart eignet, ihrem Hang zu musikalischem Eklektizismus, spontanen Tanzeinlagen und hintersinnig-humorvollen Texten, verdankt „The Prom“ einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Charmes.

Doch das Konzept schwächelt. Der Witz mit der eingebildeten Star-Bagage, die sich auf dem Boden der Tatsachen lächerlich macht, ist schnell tot gemolken. Und bleibt nicht mehr als ein Witz. Obwohl sich „The Prom“ demonstrativ „einfachen Leuten“ zudreht, stehen die von tatsächlichen Stars wie Nicole Kidman und James Corden gespielten Stadtkünstler weiterhin im Mittelpunkt. Im Handumdrehen werden aus grotesken Karikaturen vielschichtige Figuren, die Aufmerksamkeit und Verständnis verdient haben.

»Sich Andersdenkenden annähern ist anstrengend, da hilft kein Showbiz-Zauberstab.«

So darf sich der örtliche Direx (Keegan-Michael Key) als heimlicher Fan in Dee Dee verlieben und die Eskapismusfreuden preisen, die ihr glanzvolles Metier armen Provinzlern wie ihm beschert. Das wirkt noch herablassender als unverblümte Herablassung, aber kraft grenzüberschreitender Partnerbildung auch nicht ganz unsympathisch. Am stärksten ist „The Prom“, wenn man die Menschen hinter dem „Problemfall“ ans Mikro lässt. Wenn Emma (Jo Ellen Pellman mit chronischem Sonnenscheingesicht) ihre geliebte Alyssa (Ariana DeBose) besingt oder sich Letztere den Druck, der als Vorzeigeschülerin auf ihr lastet, von der Seele schmettert.

Das erinnert an die gesangsaffine Fernsehserie „Glee“, die Anfang des vergangenen Jahrzehnts Kultstatus erlangte. Ihr Schöpfer, Ryan Murphy, führte bei „The Prom“ Regie. Bereits 2018 bezeichnete der „New Yorker“ den 55-Jährigen als „most powerful man in TV“. Inzwischen lässt sich die Masse von Murphys Erfolgsproduktionen kaum noch überblicken.

Sein Stil hebt sich ab, ist bunter, schriller, gewagter, gewitzter und queerer als der vieler Zeitgenossen. Auch „The Prom“ besticht mit glitzernden Flitterkulissen, Schabracken-Style, großen Gefühlen und gepfefferten Sprüchen. Murphy will nicht mit dem Zeigefinger wedeln, sondern etwaige Inklusivitätsbotschaften ohne viel Aufhebens ins Amüsement einflechten – wie sein erklärtes Vorbild John Waters.

Das gelingt nur bedingt. Immerhin lässt „The Prom“ durchscheinen, dass nicht alles mit dem Showbiz-Zauberstab weggehext werden kann und Annäherung unter Andersdenkenden emotionale Anstrengung kostet. Der „Guardian“ fragte darob sogar: Ist dies der erste Film der Biden-Ära? Vielleicht. Wenn am Ende Liberale und Konservative einträchtig tanzen, wirkt das jedenfalls wie eine zeitgemäße Fantasie. Weihnachten naht: Lassen wir Hollywood träumen.

Steckbrief

Ryan Murphy, 1965 in Indianapolis geboren, hat seine Karriere als Zeitungsjournalist begonnen.

Bekannt wurde er vor allem als Autor und Produzent von preisgekrönten Serien: 2003 schuf er das Schönheitschirurgen-Drama „Nip/Tuck“, 2009 die Musical-Serie „Glee“, 2011 dann „American Horror Story“.

Netflix-Deal. Nach weiteren Erfolgen („Feud“, „9-1-1“, „Pose“) nahm ihn 2018 Netflix unter Vertrag (für kolportierte 300 Millionen Dollar) und machte ihn laut „New Yorker“ zum „Most Powerful Man in TV“: Fünf Jahre lang soll er für den Streamingdienst Filme und Serien entwickeln. Schon erschienen sind „The Politician“, „Hollywood“ und „Ratched“.

„The Prom“, ab 11. 12. auf Netflix, ist der erste Film unter diesem Deal – und der zweite, bei dem Ryan Murphy Regie führte (nach „Eat Pray Love“ mit Julia Roberts, 2010).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2020)

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