Zweitklässler, vornehmlich Migrantenkinder, in einer Volksschule in Wien-Penzing erwerben mit ehrenamtlicher Hilfe Sprachkompetenz.
WIEN. Für Heide Korn ist Lesen tatsächlich ein Abenteuer – eines mit Kindern, keines im Kopf. Seit drei Jahren lässt sich die 68-Jährige nämlich in der Volksschule Hochsatzengasse von Zweitklässlern vorlesen. Auf die Idee kam sie durch eine Berliner Freundin, die als pensionierte Ärztin weiterhin etwas Sinnvolles machen wollte. Korn, die als Dolmetscherin und Wissenschaftsjournalistin tätig war, engagierte sich zu dieser Zeit schon drei Jahre ehrenamtlich für Amnesty International. Die Aussicht auf lebensfroheres Engagement und die Unterstützung der Direktorin der Penzinger Schule, Evelyn Kolnberger, brachten die Kinder und Korn zusammen.
Wie die Eltern, so die Kinder
Mit welchem Erfolg, zeigt das Büchlein, das die Schüler ihrer Zuhörerin heuer gebastelt haben. Korn kommt an zwei Vormittagen pro Woche in die Schule und zieht sich mit zwei, drei Kindern zurück. Je nach Klasse ist der Anteil von Migrantenkindern unterschiedlich hoch, er geht aber bis zu 80 Prozent. Das Lesenkönnen variiert stark und hängt von der Unterstützung, die die Eltern geben können, ab. „Viele sprechen auch in der zweiten Klasse noch nicht richtig Deutsch“, sagt Korn. „50 Prozent meiner Arbeit bestehen daher im Erklären von Wörtern und ihrer Bedeutung.“ Die Kinder seien aber unglaublich wissbegierig, aufnahmefähig und lernen dank der individuellen Betreuung schnell. Und nicht nur die Schüler profitieren vom gemeinsamen Lesespaß: „Man bekommt mehr zurück als man gibt“, sagt die Lesetutorin, „es ist herzerfrischend, von den Kindern immer schon freudig erwartet zu werden.“
Amüsant ist, dass Korn selbst aus der größten österreichischen Migrantengruppe kommt. Sie ist Deutsche. Geboren in Dessau und aufgewachsen in Dresden, flüchtete sie 1947 mit den Eltern nach Westdeutschland. Studiert hat sie in London, Paris, Berlin und Wien– Dolmetsch für Englisch und Französisch. „Damals gab es in ganz Europa 3000 Studenten, die im Ausland studierten“, erzählt sie stolz. „Heute sind es Hunderttausende.“ In Wien ist sie aus familiären Gründen geblieben, wobei sie sich wundert, warum die Deutschen so gerne nach Österreich auswandern. „Früher waren wir hier nicht unbedingt willkommen“, glaubt sie. Aber in Österreich habe sich diesbezüglich viel geändert: „Seit dem EU-Beitritt wurde hier viel durchgelüftet.“
Schade findet Korn, dass ihr Beispiel nicht öfter Schule macht. Es gibt zwar ähnliche Leseinitiativen in Österreich, aber keine zentrale Stelle, an die sich Pensionistinnen und Pensionisten wenden können oder von der sie angeworben werden. Korn bat den Wiener Stadtschulrat um Unterstützung. Mit dem Hinweis auf die Schulautonomie und den Mangel an Ressourcen lehnte man aber ab.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2010)