Eine Situation wie „seit Jahrzehnten nicht mehr“ herrscht derzeit in Osttirol und Oberkärnten – mit großer Lawinengefahr, zahlreichen Straßensperren und Stromausfällen.
Innsbruck. „Das muss man gesehen haben“, sagt Rudi Mair, Leiter des Tiroler Lawinenwarndienstes. „Der Schneefall hat in den vergangenen Tagen Rekordniveau erreicht, eine Situation wie diese hatten wir seit Jahrzehnten nicht mehr. An manchen Orten liegen deutlich mehr als zwei Meter Schnee.“ Die Folge davon sind nicht nur umgeknickte Bäume und Stromleitungen, sondern auch große Lawinengefahr. Am Dienstag galt in Osttirol und Oberkärnten Stufe vier der fünfteiligen Skala. Das bedeutet, dass jederzeit auch ohne äußere Einwirkung Lawinen abgehen können. Von Skitouren wird daher dringend abgeraten. Eine Entspannung der Lage ist in Sicht, zunächst stehen Mair zufolge aber ein paar „kritische Tage“ bevor. „Das muss man ganz nüchtern so sagen.“
In Osttirol waren am Dienstagnachmittag noch 1200 Haushalte ohne Strom, die meisten von ihnen im Tauern- und Villgratental sowie in Teilen des Lesachtals. Alle verfügbaren Personen der Tiroler Netze sind im Einsatz, ihre Arbeit wird aber durch zahlreiche gesperrte Straßen behindert.
Beruhigung nach „kritischen Tagen“
Angespannt ist die Lage auch in Oberkärnten. Dort begann es am Dienstag auch wieder zu schneien, in einigen Orten wird mit einem halben Meter Neuschnee gerechnet. Die Lawinengefahr bleibt unverändert groß, vor allem im Oberen Mölltal (Bezirk Spittal an der Drau), wo noch immer Höfe und ganze Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten sind, und im Lesachtal (Bezirk Hermagor) – hier bleiben auch die Schulen und Kindergärten in zahlreichen Gemeinden geschlossen.
Nach dem Abklingen der Schneefälle im Lauf des Mittwochs hofft Mair aber auf eine Beruhigung der Lawinensituation in Tirol und Kärnten. Zwar wird gegen Ende der Woche erneut mit Neuschnee gerechnet, allerdings sollten die aktuell stark betroffenen Regionen verschont bleiben. Jetzt gelte es, „ein paar kritische Tage“ zu überstehen. „Aus meiner 30-jährigen Erfahrung weiß ich, dass eine große Lawinengefahr nie mehrere Wochen anhält, sondern immer nur drei oder vier Tage“, sagt Mair. Zudem werde die Gefahr durch die nicht ganz so niedrigen Temperaturen abgemildert, weil der Schnee dadurch vor allem in tieferen Lagen eher nass sei und sich setzen könne. „Wäre es zehn oder 15 Grad kälter, hätten wir eine katastrophale Situation. Trockener Schnee kann nämlich zu mächtigen Staublawinen mit viel größerem Zerstörungspotenzial führen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2020)