Die Ich-Pleite

Das war doch fast ein November wie immer

Carolina Frank
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Es ist ja nicht so, dass es heuer gar kein Mittel gegen den November-Blues gab.

In diesem Jahr ist alles anders, sagen alle. Aber ich finde, der November in Wien ist eigentlich so wie immer. Es herrscht wochenlang ruhiges Hochdruckwetter. Wobei es einem nicht und nicht in den Tiroler Sturschädel will, dass dann nicht die Sonne scheint. Sondern sich offenbar in eine Nachbargalaxie abgesetzt hat. Da klatscht natürlich niemand vor Lebensfreude in die Hände. Auch nicht die geborenen Wiener. Deshalb haben sie auch das Raunzen erfunden. Und das geht heuer wiederum besonders gut. Sicher, im Kaffeehaus und mit einem grantigen Oberkellner wäre es noch leichter. Das stimmt schon. Oder rund um ein Punschstandl herum. Aber es gibt immer noch Theater, Konzerte, Lesungen. Nicht viele und nicht live, aber per Livestream ist es fast genauso schön. Okay, allein rafft man sich vielleicht nicht so oft dazu auf. Sondern versumpert bei den schlechteren Netflix-Serien. Die guten hat man nämlich schon alle gesehen. Aber es bedeutet nicht, dass es heuer gar kein Mittel gegen den November-Blues gibt.

Okay, auf die Schnelle fällt mir jetzt nur Alkohol und Schokolade ein. Doch halt! Sport geht auch. Sofern es kein Mannschaftssport ist oder Skifahren in Italien. Blöd ist nur, wenn man ausgerechnet jetzt einen Bandscheibenvorfall hat. Aber selbst dann liegt man nicht einfach allein zuhause und denkt über die Sinnlosigkeit des eigenen Daseins nach. Denn es gibt immer eine Ablenkung. Die jährliche Thermenwartung zum Beispiel. Man könnte auch endlich den verstopften Abfluss reinigen oder die defekten Herdplatten anschauen lassen. Und die vielen Besuche bei Ärzten und Physiotherapeuten nimmt einem auch keiner weg. Ich würde sogar sagen: Wenn schon Bandscheibenvorfall, dann gibt es dafür eigentlich gar keine bessere Zeit.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 4. 12. 2020)

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