Gastkommentar

Sophias Hilferuf: Wie frei sind Wissenschaft und Lehre wirklich?

Die Presse/Clemens Fabry
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Die Regierung sichert sich durch das neue Universitätsgesetz größere Kontrolle über Unis und Studierende. Warum eine wirklich innovative nur eine freie Wissenschaft sein kann und warum wir uns diese in Zeiten von Corona- und Klimakrise leisten müssen.

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„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, las ich wörtlich in meinem ersten Uni-Semester vor vier Jahren in großen Buchstaben im Eingangsbereich des NIG der Uni Wien –umgeben von Menschen, die von Hörsaal zu Hörsaal eilten oder diskutierend wanderten, mit dem Schriftzug über all dem Treiben stehend. Gerade von der Schule gekommen, inspirierte mich dieses Ideal: Wissen schaffen um des Wissens Willen, einzig zum Wohl aller. Dafür sein Berufsleben zu verwenden schien es wert.

Aber ist es wirklich so?

Die „Freiheit der Wissenschaft und Lehre“ ist ein Grundsatz, den sich die Universitäten in Europa historisch mühevoll errungen haben und nur durch die Aufklärung nach dem Mittelalter umfassend gegen Adel und Kirche behaupten konnten. Die Universität als dritte Kraft gleichrangig mit diesen beiden. Nicht umsonst gibt es all die (heute manchmal veraltet erscheinenden) Talare, Zeremonienstäbe und Rektoratsketten. Sie sollten nicht veraltet sein, denn sie haben eine sehr konkrete Aufgabe (gehabt): Zu zeigen, dass die Wissenschaft niemandes Untertan sei. Und dies gegen einen Widerstand, der bis heute nicht beendet scheint, im Gegenteil.

Kontrolle durch die Regierung

In der neuen Novellierung des Uni-Gesetzes sichert sich die Regierung größere Kontrolle über Studienpläne, Rektoratsbesetzungen und damit Ausrichtung von Universitäten, indem der Senat (bestehend aus ProfessorInnen, Mittelbau und Studierenden) bei der Wiederbestellung von RektorInnen kein Stimmrecht mehr haben soll, sondern nur noch angehört wird. Dem gegenüber steht der Unirat, der zur Hälfte durch die Regierung bestimmt wird. „Damit sollen dem Vernehmen nach ‚Reform-Rektoren', die sich in ihrer Amtszeit mit dem Senat ‚anlegen‘, geschützt werden", so die „Oberösterreichischen Nachrichten". Man möge sich eine eigene Meinung zur Bedeutung dieses Satzes bilden. Weiters werden mit der nunmehrigen Mindestleistung von 24 ECTS-Punkten innerhalb von zwei Jahren pro Studium (also 48 bei Doppelstudien) erwerbstätige Studierende benachteiligt und Doppelstudien erschwert. Sogar eine eigene Maßnahme gegen letztere war angedacht, wurde aber wieder zurückgenommen.

„Studieren um des Studierens Willen geht nicht“, sagt dazu die derzeitige Präsidentin der aus RektorInnen bestehenden „Universitätenkonferenz“ (UNIKO) Sabine Seidler, Rektorin der TU Wien, im „Standard". Und ich muss fragen: Um wessen Willen dann? Rektorin Seidler gibt mir auch gleich die Antwort: „Irgendwann muss man sich als junger Mensch einmal für einen Beruf entscheiden.“ Studium als Berufsausbildung. Wer gibt das vor? Jene, die in diesen Berufen die Löhne oder Gehälter bezahlen. Die entscheiden, wen sie einstellen und wen nicht. Es sind Kapitalinteressen. Studieren um des Kapitals Willen geht also anscheinend im Europa des Jahres 2020. Wann hat dieser grundlegende Paradigmenwechsel stattgefunden? Und warum ist das überhaupt wichtig?

Unfreie Wissenschaft funktioniert nicht

Letztlich ist, ganz praktisch gedacht, unfreie Wissenschaft ein Widerspruch in sich. Kopernikus (die Erde ist nicht das Zentrum des Universums), Darwin (Spezies wurden nicht von Gott geschaffen), Einstein (die Wirklichkeit ist relativ), Curie (Atome zerfallen), Freud (der Mensch ist nicht unabhängig), nicht zuletzt Mann (der Mensch verursacht die Klimakrise): Die größten wissenschaftlichen Erkenntnisse waren revolutionär. Im Angesicht der gegenwärtigen globalen Krisen wie der Corona- und der Klimakrise, wo die Wissenschaft enorm gefragt ist, brauchen wir solch neue, dem krisenhaften Alten widersprechende Lösungen dringender als je zuvor.

Die Interessen der bestehenden Strukturen jedoch schaffen Neues höchstens als Ausprägungsform dieses Alten, dieses Selben, dessen, was sie an die Macht gebracht und dort gehalten hat und sich eigentlich bitte nicht ändern soll. Sie können es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Und legen die Wissenschaft in Ketten. Zur Dienerin in fremdem Haus verdammt sehen wir sie, die Wissenschaft, Sophia. Fördernswert nur, wenn sie gehorsam ist und Zwecke bedient, die sie nicht selbst gewählt hat – denn das scheint die Absicht, wenn Wissenschaft nur Beihilfe zur Wirtschaft sein soll, wie uns UNIKO-Präsidentin Seidler die Novelle erklärt.

In der Klimakrise auf die freie Wissenschaft hören

Dies geschieht, während außerhalb der Kapitänskajüte, deren stille Gehilfin Sophia sein soll, das Schiff sich immer weiter und schneller dem Eisberg der ökologischen und sozialen Katastrophen nähert. Man weiß es schon lange – und hat es ebenso lange nicht verstanden. Denn anstatt der Wissenschaft zuzuhören, hat man ihre Worte in den Wind geschlagen. Nur präsentabel soll sie sein, auf internationalen Ranglisten, und still, wenn die mächtigen Damen und Herren es unter sich ausmachen. Nur sagen, wovon sie bereits wissen, dass sie es hören wollen. Ungefährlich, bequem, ein krisenhaftes Altes reproduzierend. Während wir weiter dem Eisberg entgegen rasen.

In diesem Monat wird das Pariser Klimaabkommen fünf Jahre alt und noch sind wir weit vom Erreichen des dort festgelegten Zieles von 1,5 bzw. maximal 2 Grad Erhitzung entfernt. Wenn deutlich wird, dass die Politik auf die Wissenschaft hätte hören müssen und dies in Zukunft umso mehr muss, erscheint es zynisch, dass sie gerade in diesem Jubiläumsmonat einen Schritt in die Richtung zu tun versucht, die Wissenschaft der Politik zu unterwerfen.

Nur eine freie Wissenschaft ist fähig und kreativ genug, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Diese Fähigkeit zur Lösung existenzieller Krisen ist durch politische Kontrolle und Unterordnung unter Wirtschaftsinteressen bedroht. Doch noch kann Sophia um Hilfe rufen – und sich selbst helfen.

Als junger Mensch in Zeiten der Klimakrise sehe ich es als Aufgabe jeder Regierung, sich der langfristigen Wichtigkeit der freien Wissenschaft bewusst zu sein, sie zu achten und auf diese Wissenschaft zu hören (nicht umgekehrt). Doch unsere Regierung, mit ÖVP-Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, tut dies offenbar nicht. Ich sehe es umso mehr als Aufgabe jedes Rektors, jeder Rektorin, die freie Wissenschaft zu verteidigen. Doch sie tun es nicht. Umso mehr sehe ich es nun in unser aller Verantwortung, Regierung und Rektorate gemeinsam, vernetzt und in aller Deutlichkeit an ihre wahre Verantwortung zu erinnern. Denn letztlich ist der Satz in diesen Zeiten mehr denn je unteilbare Definition: Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.

Daniel Gratzer (*1997 in Wien) ist Student der Tibetologie (MA) und der Psychologie (BSc) an der Universität Wien. Er ist Mitorganisator von Fridays for Future, Mitglied der THINK-Konferenz und Mitorganisator der LCOY Austria 2019.

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