Die EU verschärft ihre CO2-Reduktionsziele drastisch. Die Industrie fürchtet um ihre Zukunft in Europa und fordert „Abwanderungsschutz“. Der geplante Klimazoll reicht dafür nicht.
Wien. Gutes Timing ist alles. Rechtzeitig zum fünfjährigen Jubiläum des Pariser Klimavertrages erhöht die EU ihre Klimaziele kräftig. Bisher galt, dass die Mitgliedsstaaten ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren müssen. Beim EU-Gipfel einigte man sich nun in der Nacht auf Freitag nach zähen Verhandlungen auf einen Zielwert von minus 55 Prozent bis 2030. Damit müssen die EU-Länder nächsten Jahrzehnt noch einmal so viel CO2 einsparen, wie in den 30 Jahren davor.
Während manche Handelsunternehmen das strengere Klimaregime PR-wirksam abfeiern, zücken die heimischen Produktionsbetriebe bereits den Taschenrechner. Sie wissen, dass sich der geplante Zwischensprint beim Klimaschutz nicht nur darauf auswirken wird, wie wir wohnen, heizen und unterwegs sind, sondern auch wie – und vor allem wo – die heimischen Unternehmen künftig produzieren.
Gratis-Zertifikate verlängern
Denn während es noch eine Weile dauern wird, bis sich die Politik dazu durchringt, den Österreichern das Autofahren zu vermiesen, spürt die Industrie schärfere Klimaziele sofort. Sie muss für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein Zertifikat vorlegen. 200 Millionen Euro haben die heimischen Unternehmen im Vorjahr für Verschmutzungsrechte bezahlt. Nach einer Anhebung des Ziels auf minus 55 Prozent würde der CO2-Preis steigen, sodass bis zu 600 Millionen fällig wären, rechnet die Industriellenvereinigung (IV) vor. Und auch das nur solange Österreich weiter großzügig Gratis-Zertifikate verteilt. Zwei Drittel der Zertifikate wurden 2019 verschenkt, um die energieintensive Industrie wettbewerbsfähig zu halten.