Neuverfilmung

„A Christmas Carol“: Missbrauch zur Weihnachtszeit

A Christmas Carol
A Christmas CarolFX Productions
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Der BBC-Dreiteiler „A Christmas Carol“, frei nach Charles Dickens, ist düster geraten. Der Horror im Kopf des Protagonisten Scrooge wirkt fürchterlich realistisch. Zu sehen auf Sky.

In Großbritannien und weit darüber hinaus kennt noch immer fast jedes Kind den Satz: „Marley war tot, damit wollen wir anfangen.“ So beginnt Charles Dickens seine 1843 veröffentlichte Novelle „A Christmas Carol“, die sofort zu einem unglaublichen Bestseller wurde und es bisher blieb. Marley, einst der Geschäftspartner des Protagonisten Ebenezer Scrooge, war noch hartherziger als sein Kompagnon. Sein Geist, der nun zur Strafe seit Jahren ruhelos herumziehen muss, erscheint Scrooge am Weihnachtsabend. Er sagt dem geldgierigen Menschenfeind voraus, dass er ebenso schrecklich enden werde wie er, wenn er sich nicht völlig ändere, endlich Menschlichkeit zeige.

Drei Geister würden zu ihm kommen, vom vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Weihnachten, um ihm bei der Läuterung zu helfen. Natürlich gelingt das, sonst wäre es bei all dem Grusel keine Weihnachtsgeschichte, kein christliches Lied. Das kennt man bereits aus zahlreichen Verfilmungen, in denen die Karikatur eines Misanthropen schließlich der frohen Botschaft der Nächstenliebe nachgibt und süße Harmonie einsetzt, wie Dickens sie schätzte.

Auf Marleys Grabstein wird uriniert

Die Verfilmung aber, die Regisseur Nick Murphy und Drehbuchautor Steven Knight 2019 für die BBC drehten, setzt nicht auf kindgerechte Spannung, sondern auf blanken Horror und auch auf recht drastische Zuspitzungen. Jacob Marley ist tot, das sieht man am Anfang so: Ein Grabstein mit seinem Namen, auf den ein junger Mann uriniert. Er verflucht dabei den harten Toten. Der liegt (von Stephen Graham köstlich skurril gespielt), panisch im engen Sarg, während es auf ihn heruntertröpfelt. Marley sehnt sich nach Frieden. Stattdessen aber wird er von einem mächtigen Schmied des Fegefeuers in Ketten gelegt und muss dann durch die Gegend irren, durch einen Wald voller Christbäume, hin zum Haus von Scrooge. Der sollte ja gerettet werden.

Die drei einstündigen Teile, die nun bei Sky gezeigt werden, spielen sich zum Großteil im Kopf des zu läuternden reichen Mannes ab. Guy Pearce wirkt jugendlich im Vergleich zu bisherigen Scrooges im Film, er ist aber vielleicht gerade deshalb ein Prachtexemplar an Hartherzigkeit und Berechnung, wie man es heute von Spekulanten erwartet. Allein sein Zählzwang lässt in Abgründe blicken. Er war selbst ein Opfer, wurde als Kind, wie indirekt angedeutet wird, einem pädophilen Lehrer ausgesetzt. Er führt die Tradition des Missbrauchs fort, als die Frau seines Schreibers ihn um Geld bittet.

Die Familie Cratchit braucht es für eine Operation des bresthaften kleinen Sohnes. Tiny Tim (Lenny Rush) würde sonst sterben. Peinvoll sind die Szenen, in denen Scrooge die arme Mary Cratchit zum Entblößen zwingt. Angeblich will er ja nur wissen, wie weit sie dabei ginge. Die Verachtung, mit der Vinette Robinson als diese gedemütigte Frau ihrem Peiniger begegnet, geht unter die Haut. Joe Alwyn als ihr Ehemann Bob führt eine energetisch aufgeladene Variante der Emotionen vor, eine Mischung hilflosen Ausgeliefertseins und mühsam unterdrückter Aggression. Scrooge deckt ihn zu Weihnachten gnadenlos mit Alibi-Arbeit ein – reine Schikane. Er spart stets an Kohle. So kalt bleibt es im Büro, dass die Tinte einfriert.

Die Welt ist brutal, das bringt uns Dickens in seinen Texten mit einer genialen Mischung aus scharfer Satire und reinem Sentiment bei. Murphy und Knight machen daraus eine gnadenlose Dystopie. In der Zombie-Zone London tanzen die Geister wie Untote aus einem Fantasyfilm heran. Der Kapitalismus ist ein tödliches Geschäft. Da ereignet sich ein Grubenunglück wie in einem Katastrophenfilm, da brennt eine Fabrik ab. Die Besitzer rechnen kalt ihre Gewinne aus.

Der Märchenheld Ali Baba in London

Edel und gut hingegen wie aus einer Seifenoper ist die Familie Cratchit, märchenhaft bei allem Realismus ihrer meist grässlichen Erscheinung sind die Geister. Nicht nur Kinder könnten von ihnen Albträume bekommen. So wie die naturalistische Schwarzfärbung des viktorianischen Großbritannien wirkt auch das Fantastische hier etwas aufgesetzt (selbst Ali Baba, einst Lieblingsheld des kleinen Scrooge, taucht in London auf). Gerettet wird der Film aber durch eine Reihe exzellenter Charakterdarsteller, neben den bisher genannten etwa Andy Serkis als Geist der Vergangenheit und Charlotte Riley als Geist der Gegenwart. Sie spielt Lottie, die verstorbene Schwester von Scrooge. Ihr Sohn, dessen Einladung zum Weihnachtsessen der Menschenfeind wieder einmal verweigert („Humbug!“), richtet ihm eine Botschaft aus der Vergangenheit aus: Vor ihrem Tod hab die Mutter gesagt, er müsse dem Onkel vergeben. Der trage einen Schmerz in sich. „Einen sehr alten Schmerz.“ In diesem Geist kann das Fest der Liebe und Vergebung schließlich doch begangen werden. Das Weihnachtsessen ist gerettet, und Tiny Tim darf jubeln: „God bless us, every one!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2020)

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