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Rezept gegen Reisemangel

Ehrwürdig. An der einspurigen Kurvenkombination in der Alfama Lissabons signalisierten früher grüne Fahnen den 28er-Linie-Chauffeuren die freie Durchfahrt.
Ehrwürdig. An der einspurigen Kurvenkombination in der Alfama Lissabons signalisierten früher grüne Fahnen den 28er-Linie-Chauffeuren die freie Durchfahrt.Martin Amanshauser
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162. Was mir als Nichtreisender durch den Kopf geht und das Rezept der Oma gegen Reisemangel.

Wenn einer wie ich nicht herum fahren darf, spürt er Melancholie. Werde ich endlos zwischen den Wiener Postleitzahlen 1160 (Wohnung mit unerledigten Romanprojekten) und 1060 (Wohnung mit Kindern; unerledigtes Homeschooling; total erledigende Bespaßung) pendeln? Bleibt die U6 mein Hauptverkehrsmittel? Und wann wird die Linie endlich so wild und verrucht sein, wie sie die Gratis-Schundmedien, an ihren Eingängen lagernd, darstellen? Im Lockdown war mein U6-Höhepunkt eine Diskussion mit einem Coronaleugner. Er sagte, nix Impfung, nix Maske, nix Test, die Pandemie sei Erfindung von Pharmakonzernen. Ich widersprach, er erklärte: "Soichane wie du glauben immer, sie hom Bildung. Aber wos du host, is ned Bildung. Des is Einbildung." 1:0 für ihn.

Manchmal nehme ich statt der U6 die Straßenbahn 5, weil ich deren Strecke noch nicht völlig auswendig kenne. Dieser Umfahrungstrick lässt mich wehmütig an meine Lieblingsstraßenbahn denken. Als ich 1989/90 in Lissabon lebte, nahm ich oft die ehrwürdige Linie 28 voller älterer Damen und Handwerker. An der einspurigen Kurvenkombination in der Alfama wachelten Männer mit grünen Fahnen den Chauffeuren bei freier Durchfahrt. Heute, als unehrwürdige Tourifolklore, funktioniert der 28er computergesteuert per Ampelbetrieb. Bei meinem letzten Besuch versagte die Elektrik und zwei gelbe Wagen standen einander gegenüber wie Stiere in der Arena.

Eine indische Journalistin beschreibt die Straßenbahngeräusche des 28er. Sie erinnern sie an jene in Kalkutta, einzige indische Stadt mit Straßenbahnnetz. Dort zirkulieren noch die ebenso gelben, wahrhaft elefantengesichtigen "elephant cars". Im Viertel Esplanade, in einer ausrangierten Garnitur aus 1938, die einst Mumbai durchquert haben soll, befindet sich das Smaranika Tram Museum (Smaranika scheint Souvenir zu bedeuten). Ein Argument mehr für eine Indien-Reise, durchführbar in besseren Zeiten. "Machts Pläne, machts Pläne", sagte meine reisefreudige Oma im Alter immer. Ich komm aus diesem Lockdown raus, versprochen, Oma! Euch Über lebenden werde ich berichten.

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