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Mitreden bei der Sterbehilfe: Schlägt Österreich den richtigen Weg ein?

Gibt es ein Recht zu sterben - auch wenn dafür Hilfe von anderen benötigt wird? Mit dieser schwierigen Fragestellung beschäftigte sich auch der Verfassungsgerichtshof. Er hat das Verbot der „Hilfeleistungen zum Selbstmord“ gekippt. Die richtige Entscheidung? Diskutieren Sie mit!

Schon lange wird in Österreich intensiv über das Thema Sterbehilfe diskutiert. Nach einer Verhandlung im September hat der Verfassungsgerichtshof nun seine Entscheidung bekanntgegeben: Mit 1. Jänner 2022 gibt es den Strafbestand "Hilfeleistung zum Selbstmord" nicht mehr. „Menschenwürdiges Sterben“ sei ein Recht, sagt der VfGH. Dazu heißt es: "Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen.“ Der Gesetzgeber müsse dabei Maßnahmen setzen, um Missbrauch zu verhindern. Die „Tötung auf Verlangen“, also die direkte aktive Sterbehilfe, bleibt weiter verboten.

Feuilleton-Redakteur Karl Gaulhofer schreibt zu der Entscheidung in einem ersten Kommentar: „Es liegt an uns, ob es würdig und recht ist“.

Bereits vor der Bekanntgabe der Entscheidung wurde eine kontroverse Debatte geführt, auch auf den Meinungsseiten der „Presse“. Einer, der sich über die Aufhebung der Bestimmung freuen wird, ist Autor Alois Schöpf. Er ist im Beirat der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGhL) und meinte in seinem Gastkommentar für die  „Presse": „Der geradezu lächerliche Verweis auf den fast 2500 Jahre alten hippokratischen Eid verhinderten bislang jede dem aktuellen Stand des Wissens gemäße Diskussion.“ Und weiter: „Auch die beste Palliativmedizin kann in vielen Fällen unerträgliches Leiden nicht verhindern, wobei selbst dann, wenn dies möglich wäre, die Frage der persönlichen Freiheit, ob sich jemand dem von vielen als demütigend empfundenen Sterbevorgang überhaupt unterziehen möchte, weiterhin unbeantwortet bleibt."

Aus anderer Perspektive - und mit anderen Schlussfolgerungen - argumentiert der Jurist und Strafrechts-Professor Peter Lewisch. Dass das Sterbehilfe-Verbot überholt ist, glaubt er nicht: „Wollte man aus dem Recht auf Privatheit wirklich das Recht aufs Sterben, nämlich auch auf ein solches durch fremde Hand, herauslesen, dann gäbe es – a maiori ad minus – keinen vernünftigen Grund mehr für rechtliche Schranken gegenüber Fremdverletzungen (wie die Guten-Sitten-Klausel bei der Einwilligung in die Körperverletzung oder auch die generelle Unwirksamkeit der Einwilligung bei der Genitalverstümmelung)."

Theo Boer, ein holländischer Experte, sieht das wiederum anders. Er erklärte im Herbst im Interview mit Anne-Catherine Simon, dass ihn die steigenden Zahlen von Menschen, die in den Niederlanden Sterbehilfe in Anspruch nehmen, „beunruhigen“. Boer, der als Gutachter 4000 Fälle aktiver Sterbehilfe behandelte, sprach Warnungen für Österreich aus und schrieb: „Ich wünschte, wir hätten es im Schattenbereich gelassen."

Dem stimmt Diplomat Gerhard Reiwegerin einem Gastkommentar nicht zu. Menschen würden nicht leichtsinnig ihr Leben beenden, meint er. "Die steigende Zahl von Menschen, die in den Niederlanden die Möglichkeit des Sterbens auf Verlangen in Anspruch nimmt, zeigt lediglich, wie viele Menschen offensichtlich den Wunsch haben, dem unvermeidlichen Leid am Lebensende zu entgehen."

Einen sehr persönlichen Kommentar zur Sterbehilfe schrieb Eva Reisinger-Löbl. Ihr Vater, der Doyen der Musikkritik Karl Löbl, wollte mit seiner Frau selbstbestimmt sterben - und kam davon ab. Das Fazit der Autorin: „Wir sind geboren, um zu leben, zu leiden, zu lieben, zu wachsen, zu schaffen, kreativ zu sein, neue Dimensionen zu erobern und uns in Demut zu üben. Demut vor dem, was uns geschenkt wurde. Das Leben."

(sk)

Diskutieren Sie mit: Gibt es ein Recht, zu sterben - auch wenn dafür Hilfe von anderen benötigt wird? Ist ein Sterbehilfe-Verbot gegen die Menschenwürde? Oder schlägt Österreich einen gefährlichen Weg ein?

Wer Suizidgedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge, unter der Nummer 142, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar.

Informationen zu Hilfsangeboten für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige sowie Hilfseinrichtungen in Österreich finden Sie auch auf der Webseite www.suizid-praevention.gv.at.

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