Über die Frage der genetischen Verwandtschaft der Juden, die im deutschsprachigen Raum durch den Rassismus des NS-Regimes überschattet ist, wird vor allem an Universitäten in Israel und den USA geforscht.
WIEN (tk). „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen“, sagte Thilo Sarrazin im Interview mit der „Welt“. Diese tatsächlich haltlose Aussage– in keinem Volk haben alle Individuen eine Version eines Gens gemeinsam – hat er nun mit Bedauern zurückgezogen: Er habe sich „nicht hinreichend präzise ausgedrückt“. Nun sagt er: „Aktuelle Studien legen nahe, dass es in höherem Maße gemeinsame genetische Wurzeln heute lebender Juden gibt, als man bisher für möglich hielt.“
Tatsächlich wird über die Frage der genetischen Verwandtschaft der Juden – die im deutschsprachigen Raum durch den mörderischen Rassismus des NS-Regimes überschattet ist – vor allem an Universitäten in Israel und den USA viel geforscht. So ist im Juni 2010 im American Journal of Human Genetics eine Arbeit erschienen, deren Schlusssatz lautet: „In den letzten 3000 Jahren haben sowohl der Fluss der Gene als auch der Fluss religiöser und kultureller Ideen zur Jewishness beigetragen.“ Harry Ostrer, einer der Forscher: „Die Studie stützt die Idee von einem jüdischen Volk, das durch eine gemeinsame genetische Geschichte verbunden ist.“Freilich zeige jede Gruppe starke Spuren der Vermischung mit der Bevölkerung der Umgebung. So erkläre „die Mischung mit europäischen Völkern, warum so viele europäische und syrische Juden blaue Augen und blonde Haare haben“.
Die Analyse ortet die Ursprünge – in Übereinstimmung mit der Überlieferung – im mittleren Osten des zweiten Jahrtausends v.Chr.; sie ergab auch, dass sich die beiden größten Gruppen – die Juden Europas und des Nahen Ostens – vor zirka 2500 Jahren auseinanderentwickelt haben. Am ehesten von den anderen Juden heben sich jene im Iran und Irak ab. Und genetisch am nächsten stehen den Juden die Palästinenser und die Drusen.
Wie Sarrazin nun richtig sagt, sind diese Studien „politisch neutral“ und auch nicht rassistisch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2010)