Brexit

Boris Johnson, Londons entzauberter Zauberer

Der britische Premier, Boris Johnson, versprach seinem Land mit dem Brexit „einen neuen Morgen“. Doch seine Regierungszeit ist vom Versagen in der Coronakrise überschattet.

Noch kaum einer der bisher 55 Premierminister, die Großbritannien seit der Schaffung des Amts 1721 hatte, sah seinen Stern so schnell verglühen wie Boris Johnson: Als er vor einem Jahr seine Konservativen zu einem triumphalen Wahlsieg führte, schien er „über Wasser wandeln zu können“, wie sich Parteifreunde begeisterten. Nicht nur brachte Johnson den Tories eine Mehrheit von 80 Sitzen, er tat es, indem er den „Roten Wall“ der Labour Party zerstörte.

Nach nur einem Jahr hat er so viele Abgeordnete der eigenen Partei gegen sich aufgebracht, dass er zuletzt nur dank der Enthaltung der Opposition die neuen Corona-Bestimmungen im Parlament durchbrachte. Der Boris Johnson, der da händeringend Tory-Rebellen um ihre Stimmen anflehte, hatte mit dem strahlenden Sieger des Dezembers 2019 nur mehr die zersausten Haare gemeinsam.

Seinen Wahlsieg vor einem Jahr hatte Johnson zwei Umständen zu verdanken. Er versprach den Briten nach mehr als drei Jahren endloser Verhandlungen, Winkelzügen und Streitigkeiten, endlich den „Brexit zu erledigen“. Und er sammelte die, die sich als Verlierer des nicht nur wirtschaftlichen Wandels sehen. Im Triumph gab sich Johnson demütig: „Wir haben diese Stimmen nur geliehen bekommen.“ Als Premierminister werde er alles daransetzen, die lang vernachlässigten Regionen „nach vorn zu bringen“.

Von all dem Aufbruch ist nichts geblieben. Als Johnson seinem Land am Tag des EU-Austritts am 31. Jänner „den Anbruch eines neuen Morgens“ verkündete, verzeichnete Großbritannien fast unbemerkt bereits die ersten Coronatoten. Kein Land war auf die Seuche vorbereitet. Aber wenige reagierten so stümperhaft, konfus und zunächst auch desinteressiert wie die Regierung Johnson. Obwohl die Weltgesundheitsbehörde WHO längst eine weltweite Pandemie ausgerufen hatte, schwänzte der Premierminister die ersten Krisensitzungen des Kabinetts. Dafür erklärte er am 3. März: „Ich habe gestern ein Krankenhaus mit Coronapatienten besucht, und Sie werden erfreut sein zu hören, dass ich jedem die Hand geschüttelt habe und das auch weiterhin tun werde.“

»Er mag keine Teamarbeit, und am wenigsten mag er es, die Wahrheit zu sagen.«

Hohe Zahl an Coronatoten. 20 Tage später musste Johnson sein Land – Wochen nach anderen Staaten – in den Lockdown schicken. Während die Opferzahlen explodierten, brach die Wirtschaft ein: Im zweiten Quartal fiel das BIP nach Angaben der OECD um 20,8 Prozent, mehr als in jedem anderen westlichen Industriestaat. Mit einer Neuverschuldung von 394 Milliarden Pfund wurden umfassende Unterstützungen finanziert. Die Zahl der Covid-Toten liegt mit mehr als 75.000 an der Spitze in Europa. Auch der 56-jährige Johnson selbst erkrankte im April schwer an dem Virus: „Es hätte so oder so ausgehen können“, sagte er danach.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.