War Sisyphus Moslem?

Für die zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes scheint der Wunsch nach eigenen Gebetshäusern in den Hauptstädten angemessen.

Wo sie entstanden ist, die europäische Kultur, lernt jeder Schüler spätestens in der sechsten Schulstufe, es ist dort, wo heute der große Antipode zu derselben verortet wird, im antiken Griechenland, der heutigen Türkei. Geografisch gesehen eine Halbinsel, die aber groß genug ist, den Namen des Kontinentes zu erhalten, dem sie angehört, „Kleinasien“. Dieses kleine Asien, an dessen Nordseite Europa genauso weitergeht wie seltsamerweise an dessen Ostseite, hat Grenzen, die offensichtlich nicht von der Geografie, sondern von den lokal mehrheitlich existierenden Religionen gezogen werden. Dieser Flecken Erde war schon so vieles, das Kernland der Ausbreitung des Christentums, das späte Kernland der Ausbreitung des Islam, und der heutige Gottseibeiuns der europäischen Einigung.

Seltsame Wortspenden

Und es war, gemeinsam mit den südlich angrenzenden Regionen, Geburtsstätte des Traumas, aus dem heraus das moderne Europa sich zu definieren begann (siehe Henri Pirenne oder Roland Girtler). Dass nämlich aus den Gebieten, die sowohl die Wurzeln des Christentums, der Levante, als auch dessen Verbreitungskernlandes, Kleinasien waren, eine weitere Religion mit ganz ähnlichen Inhalten und Ansprüchen, quasi eine Konkurrenz am Feld der Glaubenssysteme, hervorging, brachte das Europa, das sich inzwischen das Christentum als „seines“ angeeignet hatte, dazu, sich im Gegensatz zu dieser neuen Religion, die so plötzlich für so viele Menschen attraktiv zu sein schien, als das Bollwerk gegen ebendiese zu definieren und sie dabei als einen ihrer Grundbausteine zu ignorieren.

Eine Definition, die, begleitet von deren Äquivalent auf der islamischen Seite, dem „Haus des Islam“, in vielen Köpfen bis heute ein fixer Bestandteil des Denkens und Agierens zu sein scheint. Anders ist es nicht zu erklären, dass reflexartig der an sich selbstverständlichen Aussage des obersten Repräsentanten besagter Religionsgemeinschaft in Österreich (die seit dem „guten alten“ Kaiser Franz Joseph eine per Gesetz österreichische ist) – und zwar: sich in den größten Städten Österreichs entsprechend ansehnliche Gebetshäuser mit allen Dazugehörigkeiten, wie es für die zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes angemessen scheint, zu wünschen – Unmengen an einigermaßen seltsamen Wortspenden mehr oder weniger bedeutender Politiker folgen, die dieses Ansinnen infrage stellen oder gar verurteilen.

Dabei ist der Wunsch des Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft nach diesen Gebetshäusern genauso selbstverständlich wie der des (übrigens, im Gegensatz zum erwähnten Präsidenten, von keinem einzigen österreichischen Katholiken gewählten) Erzbischofs von Wien nach der allgemeinen Unterstützung zum Erhalt der historischen katholischen Gebetshäuser.

Konstruktiver Teil Österreichs

Einigen Geistesgrößen der europäischen Kultur, die ein dezidiert positives Verhältnis zum Islam gehabt haben, von Kaiser FriedrichII., Franz von Assisi über Johann Wolfgang von Goethe bis zu Rainer Maria Rilke, wird seitens teils übereifriger Muslime manchmal eine posthume Zugehörigkeit zum Islam unterschoben. Jemand der als österreichischer Moslem seit Jahren ein friedliches, in der Gesellschaft integriertes Leben führt und sich aus Überzeugung und sichtbar für einen Islam als einen konstruktiven Teil Österreichs einsetzt, stellt sich manchmal ob der stereotypen Ignoranz der Ergebnisse dieser Bemühungen die Frage: War etwa der Sisyphus in Kleinasien auch schon Moslem?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2010)

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