Pizzicato

Die mediale Plattitüden-Folter

Wer etwas „fieberhaft" tut, dem sollte man eher nicht trauen. Und auch sonst ist der Polit- und Journalistensprech sehr oft reichlich doof.

Medien- und Politikersprache, Jahrmarkt der Plattitüden. Hier werden Pforten geöffnet, dort tummelt man sich, jemand verscherbelt Familiensilber, legt etwas auf den Tisch, irgendwo herrscht Zwist. Im Vergleich zum Alltag ist's oft eine Parallelgesellschaftssprache.

Eine ihrer In-Plattitüden ist „fieberhaft“. Fieberhaft fahndet die Polizei nach Tätern, verhandeln Politiker, laufen Rettungsarbeiten, sucht man nach Impfstoffen, etwa gegen Corona.

Nur: Wieso muss man etwas, wenn's wild zugeht, fieberhaft tun? Das Bild ist doch total verkehrt! Wenn du Fieber hast, also richtiges Fieber mit 40 Grad, Gliederschmerzen etc., dann tust du nämlich gar nix. Dann liegt du kaputt im Bett. Quasi in Fieberhaft.

Man schwitzt, meidet Licht, schläft viel, hat wüste Träume, glasige Augen, denkt und redet wirr. Wer etwas fieberhaft tut, dem sollte man eher nicht trauen.

Weil wir nebeldepressionsbedingt schon keifen: Da wär' noch die Sache mit dem „Gekommen, um zu bleiben“. Seit die Spaßnasenband „Wir sind Helden", die so gut, nett und vorbildlich politkorrekt schräg ist, dass man sie kaum nicht mögen kann, dieses Lied vor 15 Jahren herausgebracht hat, kommt der Spruch in gefühlt jedem dritten Artikel vor, egal, zu welchem Thema.

Bitte, bitte, bitte hören wir auf mit dieser schrecklich banalen, abgedroschenen, uncoolen, seichten, was auch immer Allzweckplattitüde. Wir müssen nur wollen! Aber vermutlich behalten Tocotronic recht: „Die Folter endet nie". Harhar!

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2020)

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