Interview

Heimo Scheuch: „Die Politik muss dringend umdenken“

(C) Uwe Strasser/ Wienerberger AG ]
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Für den Vorstandsvorsitzenden der Wienerberger AG ist leistbares, nachhaltiges und soziales Wohnen eine der obersten gesellschaftspolitischen Prioritäten.

Wohnen wird für die meisten Menschen immer unerschwinglicher. Woran liegt das? Wer trägt dafür die Verantwortung?

Das hat eine Vielzahl an Gründen. Zunächst liegt es an der internationalen Niedrigzinspolitik. Geld auf die Bank zu legen oder beispielsweise in Staatsanleihen zu investieren ergibt heutzutage wenig ökonomischen Sinn. Also tendieren Menschen zu Anlageformen wie Gold oder eben Immobilien, Grund und Boden. Das kurbelt die Preise an. Ein anderes Problem ist der Bereich der Regulatorik. Seit Jahrzehnten ist ein Wildwuchs an Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen zu beobachten. Damit leisten Politik und Verwaltung einen Beitrag dazu, dass Bauen für die Bauwirtschaft immer teurer wird. Auch der Faktor Arbeit wird beständig kostspieliger und führt somit zu erhöhten Errichtungskosten. Die Summe aus all diesen Aspekten führt zu einer Preisspirale, die sich weiter und weiter dreht. Und es besteht im Grunde keine Aussicht auf Änderung: Die Niedrigzinspolitik wird beibehalten, die Vorschriften werden mehr und die Arbeitskosten ebenso. Die Folgen sind höchst unerfreulich. Die Immobilienpreise für das Wohnen entkoppeln sich immer stärker vom verfügbaren Einkommen. Vor allem die Mittelschicht der Bevölkerung ist von den gestiegenen Belastungen betroffen und es wird für Durchschnittsverdiener zusehends schwieriger, die Wohnkosten abzudecken.

Gibt es dafür konkrete Zahlen?

Laut Statistik Austria sind im gesamtösterreichischen Schnitt die Kaufpreise für Häuser und Wohnungen von 2014 bis 2019 um 25,5 Prozent und die Mieten um 13 Prozent angestiegen. Vor allem in den Großstädten werden die Wohnkosten immer höher. Die Mieten haben in Wien, rechnet man den geschützten Sektor heraus, im Vorjahr um fünf Prozent auf 13,7 Euro pro Quadratmeter (inklusive Betriebskosten) zugelegt. Damit kostet eine 100-Quadratmeter-Wohnung im Schnitt knapp 1400 Euro im Monat. Welcher Normalverdiener soll das bitte zahlen können? Erschreckender Fakt ist: Österreichs Haushalte müssen im Schnitt bereits heute mehr als 35 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben.

Wie kann man unter diesen Vorbedingungen das Ziel vom leistbaren Wohnen erreichen?

Man müsste einmal damit beginnen, in der Betrachtung zwischen Betriebskosten und Anschaffungskosten zu trennen. Die Betriebskosten könnten ja in den Griff bekommen werden. Hier trifft sich der Anspruch auf leistbares Wohnen mit der Anforderung an nachhaltiges Bauen und Sanieren. Wenn ökologisch wertvoll renoviert wird und ebenso nachhaltig Häuser und Wohnungen errichtet werden, dann sinken die energiebezogenen Erhaltungskosten, weil der Heizbedarf geringer wird. Ein weiterer essenzieller Ansatz ist es, Spekulationen konsequent einen Riegel vorzuschieben. Würde die öffentliche Hand zum Beispiel mehr Grund und Boden zur Pacht zur Verfügung stellen, würde bereits ein wesentlicher urbaner Kostentreiber wegfallen. Modelle wie die Verpachtung wären eine zukunftsträchtige Lösung. Was übrig bleibt, sind dann die reinen Baukosten, die niedrig gehalten werden können. Es sind ja nicht die Baustoffe, die die Preise antreiben. Ein zusätzlicher kostensenkender Effekt lässt sich erzielen, wenn Bürokratie abgebaut wird und beispielsweise schneller gewidmet wird.

Wenn sowohl die Treiber der Preisspirale als auch mögliche Lösungen für das Problem bekannt sind – warum geschieht dann nichts, um die Lage zu verbessern?

Das ist eine gute Frage, die ich gern so an die politischen Entscheidungsträger weiterleiten möchte. Es handelt sich nämlich um ein sehr ernstes Thema, wenn wir von der Leistbarkeit und der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit des Wohnens reden. Wir sprechen hier – neben Ernährung, Bildung und Arbeit – von einem der wesentlichsten Aspekte des Lebens. Immer mehr Menschen müssen sich Sorgen machen, ob sie sich ein menschengerechtes Wohnen morgen noch leisten können. Menschengerecht heißt auch, dass die Wohnverhältnisse nicht zu beengt sind und dass genügend Grün-, Frei- und Gemeinschaftsraum zur Verfügung steht, um ein sozial würdiges, generationengerechtes und gesellschaftlich eingebettetes Wohnen zu gewährleisten. Wer sich all dessen nicht sicher sein kann, hat berechtigterweise Zukunftsängste. Leider ist es so, dass in der Politik für dieses enorm bedeutungsvolle Thema bis dato kein ausreichendes Bewusstsein entwickelt wurde. Solange hier bei den Entscheidungsträgern kein Umdenken stattfindet, wird sich auch nichts zum Besseren hin bewegen.

Was muss also ganz konkret und am besten sofort getan werden?

Ich möchte zunächst zwecks Anschaulichkeit konkrete Beispiele nennen, was nicht getan werden darf. Falsch ist es etwa, in einem Dorf in den Alpen außerhalb des Ortsgebiets eine Umwidmung in Bauland durchzuboxen, wenn dort die Infrastruktur fehlt und die Natur durch Hanganschneidungen so sehr leidet, dass sich Umweltkatastrophen als logische Folge einstellen. Falsch ist es auch, auf teuren Ackerboden ein Einkaufszentrum hinzustellen, das erst mit Ortsteilen verbunden werden muss und das danach zeit- und kostenintensiven Autoverkehr generiert, der zudem das Klima schädigt. Das alles ist ja nicht so schwer zu verstehen. Und jetzt kommen wir zum konstruktiven Ansatz. Was es braucht, ist eine ordentliche und professionelle Planung. Man muss in die Zukunft blicken und sich seriöse Gedanken darüber machen, wo wir in 30 bis 50 Jahren Industrie, Arbeitsplätze und Tourismus brauchen und wo wir wohnen wollen – und in der Folge entsprechend handeln. Wenn wir Gebäude bauen, sollen diese nutzbar sein und mehr als 100 Jahre Bestand haben. Das muss effizient, schnell und zielorientiert umgesetzt werden. Dafür braucht es auch keine 200 Seiten an neuer Gesetzgebung. Das kann in einem kleinen Land wie Österreich mit seinen rund acht Millionen Einwohnern bei gutem Willen ja nicht so schwer sein.

Liegt das Erstarren der Politik aktuell auch daran, dass die Covid-19-Krise alles überdeckt?

Bei allem Respekt vor der Bedeutung dieses Themas und den für die Wirtschaft teils verheerenden Folgen der aktuellen Krise darf Covid-19 nicht als Ausrede verwendet werden, ein so grundsätzlich wesentliches Thema wie das Wohnen links liegen zu lassen. Schließlich geht es um die Zukunft von uns allen, um das Zusammenleben. Wir können nicht in Krisenangst verharren. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen, die mit leistbarem, ökologischen und sozialen Wohnen einhergehen. Wir alle haben die Pflicht, darüber zu diskutieren, Meinungen auszutauschen und in einen konstruktiven Wettbewerb der Konzepte einzutreten. Ich wünsche mir ein Zurück zu einer Politik der sachlichen Auseinandersetzung, die die Themen der Zeit erkennt und ernst nimmt. Es geht um nichts weniger als um die künftigen Generationen.

Zur Person:

Heimo Scheuch, geboren 1966 in Villach, studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften in Wien, Paris und London.
1993 promovierte er an der Universität Wien zum Doktor jur. Seine 1996 gestartete Karriere bei Wienerberger führte ihn durch eine Vielzahl von Führungspositionen in Europa und Nordamerika.
2001 wurde er Mitglied des Vorstands der Wienerberger AG.
Im August 2009 übernahm er den Vorstandsvorsitz. Seither verantwortet Heimo Scheuch die strategische und operative Entwicklung der Wienerberger Gruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2020)

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