Expertise II

Immobilieninvestments mit sozial nachhaltigem Charakter

(c) Matthias Heisler
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Beim Thema leistbares Wohnen richtet sich der Blick meist reflexartig auf den sozialen Wohnbau. Doch auch der private Mietsektor könnte einen Beitrag leisten, meint Anita Aigner (TU Wien), die für alternatives Immobilieninvestment plädiert.

Für immer mehr Menschen wird es schwieriger, leistbaren Wohnraum zu finden. Gleichzeitig investieren immer mehr Haushalte in Anlagewohnungen. Gibt es da einen Zusammenhang, der sich erklären lässt?

Ja. Wie in vielen anderen westlichen Wohlfahrtsstaaten ist auch in Österreich ein Trend zum Investmenteigentum zu beobachten. Nicht nur in der Bundeshauptstadt Wien, auch in Salzburg, Graz und Vorarlberg wird immer mehr Wohnraum für Investoren gebaut und nicht mehr primär für Nutzer. Mit dem Anlageprodukt „Vorsorgewohnung“ hat sich hierzulande sogar ein eigener (Sub-)Eigentumsmarkt für Investment für Privatanleger formiert.

Der seit der Finanzkrise 2008 stark angewachsene Buy-to-let-Sektor fungiert als Preistreiber und trägt zur Einschränkung des Angebots von jenen Miet- und Kaufwohnungen bei, die für untere und mittlere Einkommensgruppen bezahlbar sind.

Können Sie diese Entwicklung in Zahlen fassbar machen?

Nach dem Vorsorgewohnungs-Marktbericht des Immobiliendienstleisters EHL ist die Zahl der in Wien verkauften Vorsorgewohnungen von 2015 bis 2019 um 56 Prozent gestiegen. Allerdings sind hier nur neu errichtete Anlagewohnungen erfasst, die zum Nettokaufpreis erworben werden – nicht jedoch die „normalen“, meist gebrauchten Investment-Wohnungen, die beim Vermieten unter die Kleinunternehmerregelung fallen.

Signifikant für den Trend zum Kleinvermietertum ist auch die Entwicklung der Eigentumswohnungen, die von den gemeinnützigen Bauvereinigungen, GBV, in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren errichtet wurden. Wie ein erst kürzlich vom GBV-Verband publizierter Research-Brief zu den Mieten in Österreichs Landeshauptstädten zeigt, wird ein beträchtlicher Anteil dieser vormals selbstgenutzten Wohnungen inzwischen privat vermietet. Wobei die Nettomieten 50 Prozent und mehr über den GBV-Mieten für vergleichbare Wohnungen liegen. Es breitet sich also eine rein ökonomische, profitorientierte Haltung zum Wohnraum aus. In der Forschung bezeichnet man das als Finanzialisierung.

Welche Konsequenzen hat diese Finanzialisierung von Wohnraum auf den Wohnungsmarkt und auf das Ideal vom leistbaren Wohnen?

Wie bei vielen anderen Dingen – ob wir nun an das Fliegen oder das Autofahren in der Stadt denken – gilt auch beim Investieren in „Betongold“: Was für den Einzelnen von Vorteil ist, wird für die Gemeinschaft zum Nachteil, wenn es viele betreiben. Mit der Umschichtung der Geldvermögen in Anlagewohnungen gehen einige nicht intendierte negative Effekte einher, die der einzelne Kleininvestor nicht vor Augen hat. Dass infolge hoher Nachfrage die Wohnungs- und Bodenpreise stark gestiegen sind, mag den Anleger freuen.

Doch die Explosion der Bodenpreise erschwert und verteuert auch die gemeinnützige Wohnungsproduktion. Für Normalverdiener ohne Erbe ist die Anschaffung von Eigentum inzwischen kaum mehr möglich. Wohnungssuchende mit niedrigen und mittleren Einkommen müssen sich zusehends mit kleineren Mietwohnungen begnügen. Wir sollten vor Augen haben, dass mit der Normalisierung von Investment-Eigentum unsere Gesellschaft immer ungleicher wird. Bereits jetzt lukriert in Österreich laut einer Wifo-Studie aus dem Jahr 2019 das oberste Einkommensdrittel 82,5 Prozent der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Auch ist zu bedenken, dass, je mehr Menschen zu Investor-Vermietern werden, das Wohnen immer weniger als soziales Gut und als Grundbedürfnis gesehen wird, das es nicht auszubeuten gilt.


Ist das Investieren in Immobilien – Stichwort Betongold – aus sozialgesellschaftlicher Sicht generell zu verurteilen?

Nein, ist es nicht. Jeder Besitzende kann – sofern Bewusstsein und Wille vorhanden sind, eine Wahl im Allgemeininteresse zu treffen – mit sozialverträglicher Mietpreisgestaltung einen Beitrag leisten. Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 gab es hilfsbereite Menschen, die Wohnraum gratis oder zu geringen Kosten zur Verfügung gestellt haben. Auch jetzt in Coronazeiten gibt es Vermieter, die ihren unverschuldet zahlungsunfähig gewordenen Mieter die Miete erlassen oder reduzieren. Es geht also nicht darum, Immobilieninvestment und Kleinvermieter schlechtzureden, sondern darum, über alternative, gesellschaftlich nützliche Formen des Investierens in (Wohn-)Immobilien nachzudenken. Ich denke, dass auch viele gar nicht so vermögende Mittelschichtshaushalte bereit wären, einen Teil ihres akkumulierten Geldvermögens in selbstorganisierte Baugruppen und Genossenschaften zu investieren. Doch es fehlt an Wissen über solche Projekte. Mehr Berichterstattung über sozial nachhaltige Wohnprojekte, die bei der Finanzierung auf Direktkredite setzen, wäre wünschenswert. Ebenso eine breitere Diskussion über Kriterien für sozial nachhaltiges Immobilieninvestment.

Zur Person:

Anita Aigner ist Assistenzprofessorin am Institut für Kunst und Gestaltung der TU Wien. Sie ist in den Bereichen Kritische Moderneforschung, Critical Heritage Studies, Housing Studies, Finanzialisierung von Wohnraum sozialer Nachhaltigkeit und Gemeinschaft tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2020)

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