Quergeschrieben

Das völlig überzogene Gerede von der „Lost Generation“

APA/HANS PUNZ
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Der Begriff hat historische Wurzeln und meint anderes als fehlende Lehrstellen, geschlossene Schulen, abgesagte Auslandssemester in einer Wohlstandsgesellschaft.

Zweihundert Reisebusse mit der Aufschrift „Lost Generation“ könnte man mit jenen Tausenden Jugendlichen füllen, die wegen der Coronakrise dieses Jahr keine Lehrstellen finden. Im Juni wollte die SP-Gewerkschaftsjugend mit diesem Bild Alarm schlagen. Ihr Vorsitzender, Josef Rehberger, kennt den Begriff offenbar nicht.

Er wäre nicht der Einzige mit einer Bildungslücke. FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl sah bei einer Pressekonferenz gleich die ganze Schülergeneration als „verloren“ an, die sich dieses Jahr durch virtuellen Unterricht quälen muss. Warum aber den Parteichefinnen von SPÖ und Neos, Pamela Rendi-Wagner und Beate Meinl-Reisinger, der Begriff der „Lost Generation“ über die Lippen kommt, ist unverständlich.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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Als solche waren nämlich Jugendliche während und nach dem Ersten Weltkrieg bezeichnet. Ihre Wertewelt war in der großen Katastrophe untergegangen. Die Zeit danach erlebten sie desorientiert und ohne Perspektive. Die Geschichte des Begriffs macht jeden Vergleich mit der heutigen Zeit absurd.

Aber selbst wenn man die Herkunft des Begriffs ausblendet, ist das aktuelle Gerede von der „Lost Generation“ völlig überzogen. Was es tatsächlich bedeutet, zu einer „verlorenen Generation“ zu gehören, wussten die jungen Chinesen zur Zeit der Kulturrevolution in den 1960er-Jahren, als ihnen massenweise jeder Zugang zu Bildung und Beruf versperrt wurde, weil die Familie die falschen Freunde hatte; wissen jene, die sich an Studien- und Berufsverbote aus politischen Gründen in den ehemals kommunistisch regierten Staaten erinnern; wissen die Kinder der First Nation in Kanada, der Aborigines in Australien, indigener Völker anderswo, die massenhaft entführt oder den Eltern zwangsweise abgenommen und ohne entsprechende Bildung „verwaltet“ worden sind. Sie alle sprechen von den „Lost Generations“ ihrer Angehörigen. Zu Recht.

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