Literatur

Forrest Gump aus Island

Spannend ist die Perspektive, die der nach Island ausgewanderte Schweizer Autor Joachim B. Schmidt wählt.
Spannend ist die Perspektive, die der nach Island ausgewanderte Schweizer Autor Joachim B. Schmidt wählt.(c) imago images/YAY Micro (YAY Micro via www.imago-images.d)
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Er macht Gammelhai und findet sich blind in der Schneewüste zurecht: Mit Kalmann ist Joachim B. Schmidt eine erfrischend naive Figur gelungen.

Kalmanns Revier liegt ganz weit oben im Norden Islands. Er ist der selbst ernannte Sheriff des 173-Seelen-Nests Raufarhöfn, in dem er mit Cowboyhut, Stern und Pistole die Einwohner beschützt. Außerdem ist Kalmann Polarfuchs- und Haifischfänger und stellt den besten Gammelhai in ganz Island her. Seit sein Großvater im Altersheim ist, lebt er allein in dem alten, windschiefen Häuschen nahe dem heruntergekommenen Hafen. Die Aufregung in Raufarhöfn ebbt nicht mehr ab, als der „Dorfkaiser“, dem Hotel und Fangquoten gehören, verschwindet und Kalmann eine Blutlache im Schnee findet.

„Kalmann“ ist alles andere als ein klassischer Krimi. Spannend ist die Perspektive, die der nach Island ausgewanderte Schweizer Autor Joachim B. Schmidt wählt: Die Ereignisse sind aus der Sicht des Sonderlings Kalmann erzählt, dessen „Räder im Kopf manchmal rückwärtslaufen“. Eine Art isländischer Forrest Gump, ein einfacher Geist, doch gewieft und von einer gewissen Lebensweisheit. Kalmann ist zwar in seinem Dorf akzeptiert, doch er ist einsam, und wenn andere über ihn lachen, wird er aggressiv, zertrümmert die Einrichtung oder verletzt sich selbst.

Kalmann ist ein guter Beobachter, doch er ist kein verlässlicher Erzähler – diese Mischung setzt Schmidt gekonnt ein, legt Köder aus und setzt falsche Fährten. Der Leser wird auf eine Schnitzeljagd durch ein aussterbendes Dorf und die verschneite isländische Landschaft mitgenommen. Packend, witzig, empathisch, clever konstruiert.

Joachim B. Schmidt: „Kalmann“, Diogenes, 352 Seiten, 22,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2020)

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