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Pixar verspricht Rettung für verlorene Seelen

Willkommen im Trainingscamp für ungeborene Persönlichkeiten: Unter der Aufsicht freundlicher Lichtgestalten, die sich den irdischen Perspektive regeln entziehen, werden hier Seelen auf ihren Einsatz vorbereitet.
Willkommen im Trainingscamp für ungeborene Persönlichkeiten: Unter der Aufsicht freundlicher Lichtgestalten, die sich den irdischen Perspektive regeln entziehen, werden hier Seelen auf ihren Einsatz vorbereitet. Disney/Pixar
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Das neue Meisterwerk des Animationsstudios, „Soul“, widmet sich den Sinnfragen der Menschheit und entführt dabei in raffiniert animierte spirituelle Welten.

Wo kommen wir her, wo gehen wir hin – und wozu das alles? Es verwundert nicht, dass sich das Pixar-Studio, auch lange nach der Übernahme durch Disney eine der erzählerisch und ästhetisch ambitioniertesten Animationsschmieden der Welt, jetzt der großen Sinnfragen annimmt. Mit demselben Einfallsreichtum, mit dem es Spielsachen („Toy Story“, 1995), Recyclingrobotern („Wall-E“, 2008), den Emotionen und Denkprozessen einer Elfjährigen („Alles steht Kopf“, 2015) Leben eingehaucht hat, widmet es sich nun der Entwicklung der menschlichen Seele: im eigentlich fürs Kino produzierten Meisterwerk „Soul“, das am 25. Dezember auf der Streamingplattform Disney+ erscheint.

Ein begeisterter New Yorker Jazzpianist, der sich mangels Bühnenerfolgs als Musiklehrer verdingt, stürzt darin in einen Kanalschacht – und landet auf einem Förderband, das alle verstorbenen Seelen ins Jenseits transportiert. Doch Joe Gardner (Jamie Foxx) ist nicht bereit für seinen Tod, nicht heute, als er doch einen Auftritt im besten Jazzclub der Stadt hat! Er stiehlt sich weg von jenem Ort, an dem alles endet, und findet sich plötzlich dort wieder, wo alles beginnt: Im „You-Seminar“, einer Seelenfabrik, in der Persönlichkeiten geformt und mit Tugenden, Talenten und Schrullen angereichert werden, bevor sie auf die Erde plumpsen.

Regisseur und Autor Pete Docter verstand es schon in „Alles steht Kopf“, theoretische Konzepte in gewitzte Animationskunst zu überführen (genial war die Szene, in der die Helden eine Abkürzung durch die Halle des abstrakten Denkens nehmen, in der sie dekonstruiert werden, bis nur noch geometrische Farbkleckse übrig bleiben). Auch „Soul“ ist in dieser Hinsicht voller visueller Raffinesse: Die Betreuer des Seelenvorbereitungscamps etwa sehen aus, als hätte sie Picasso aus leuchtenden Linien modelliert.

Sie beschreiben sich als die Quantisierung des Universums „in einer Gestalt, die das beschränkte menschliche Gehirn erfassen kann“. Die frischen Seelen, um die sie sich geduldig kümmern, kullern als halbtransparente Kugelmännchen durch eine rosa und blau glänzende Hügellandschaft. Hier bekommt der unsanft aus seinem materiellen Dasein gerissene Joe eine Chance: Als Mentor soll er einer unwilligen Seele (Tina Fey), an der schon die Geister von Gandhi und Marie Antoinette gescheitert sind, das irdische Leben schmackhaft machen.

Die Mystiker ohne Grenzen kommen!

Es folgt eine unterhaltsame Reise durch physische und metaphysische Gefilde, durch ein hektisches, jazziges, richtig greifbar wirkendes New York und durch betörende Anderswelten, die Trent Reznor und Atticus Ross (also die Nine Inch Nails) mit blubbernden Klängen füllen. Wie ein Jazzer beim Improsolo driften Erzählung und Ästhetik hier immer wieder ab, ohne aus dem Rhythmus zu kommen, sind mal verspielter, mal geradlinig, mal reduziert, mal herrlich abgespaced.

Etwa wenn die Helden jene „Astralebene zwischen dem Physischen und Spirituellen“ besuchen, die sich Menschen in Trance eröffnet: eine dunkel schimmernde Sandwüste (oder ist es Sternenstaub?), die nicht jeder zu navigieren weiß. Gut, dass sich die „Mystiker ohne Grenzen“, eine Truppe hilfsbereiter Hippies, jeden Dienstag hierher meditieren, um jene zu befreien, die die Verbindung zum Leben verloren haben, die in Trott oder negativen Gedanken feststecken und als zerstörerische Sandmonster herumkreiseln: „Noch so ein Hedgefonds-Manager!“

Was ist es, was ein Leben lebenswert macht? Das fragt „Soul“ und vermittelt dabei ein konsequent positives Menschenbild: Hier werden alle Seelen mit demselben Enthusiasmus auf die Welt vorbereitet – auch die kleine, die sich stolz als „manipulative, opportunistische Größenwahnsinnige“ vorstellt. Und die „verlorenen Seelen“, die so grimmig durch die spirituelle Wüste treiben? Die kann man auch aus ihrer Misere befreien. Man muss nur den Sand abputzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2020)

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