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Musiksalon Nr. 39: Oper unter der Gürtellinie

Hugo von Hofmannsthals Text zum „Rosenkavalier“ fand bei der kaiserlichen Zensur einst eine wenig freundliche Beurteilung. Lange Passagen der Oper fielen dem Rotstift zum Opfer - und wurden bis heute nur selten aufgeführt.

Anlässlich der musikalischen Neueinstudierung von Richard Strauss' „Rosenkavalier“ an der Wiener Staatsoper warteten Kenner darauf, dass einige Passagen, die einst aufgrund der moralischen Einwände der Zensur gestrichen werden mussten, endlich einmal gespielt werden. Zumal der Darsteller des Ochs auf Lerchenau, Günther Groissböck, für die Salzburger Festspielproduktion unter Franz Welser-Möst die ganze Partie gelernt und gesungen hatte.

Doch daraus wurde nichts. Immerhin auf der legendären Gesamtaufnahme der Oper unter Erich Kleiber kann man hören, was der Baron in seiner sogenannten „Mägdeerzählung“ im ersten Akt so alles von sich gibt. Und wie detailverliebt Strauss es musikalisch „illustriert“ hat: Man hört den Stier stampfen, die Stalltür zuknallen und - im Pizzicato der Geigen - den „teuflischen Blick“...

Unter Erich Kleiber sangen Ludwig Weber den Ochs auf Lerchenau, Maria Reining die Marschallin, Sena Jurinac den Octavian.

Der ganze Text

Kann leicht sein, dass  einige rot geworden wären, die damals im Textbuch mitgelesen hätten.

Zur besseren Übersicht, was seit 1911 kaum jemand im Theater zu hören bekommen hat, sind in der Folge jene Passagen fett gedruckt, wie wir alle kennen. Was im Normaldruck erscheint, wurde - und wird bis in unsere diesbezüglich längst nicht mehr „korrekten" Zeiten meist - zensuriert.

Eine formale Überlegung zuletzt:

Strauss hat einen großen Monolog für den Baron komponiert, dem ein kurzes Terzett als Coda folgt. Was im Normalfall aufgeführt wird, ist ein  Terzett mit einer etwas zu lang geratenen monologischen Einleitung...

Hofmannsthals Text

MARSCHALLIN lachend.
Der Vetter ist, ich seh, kein Kostverächter.


DER BARON erleichtert.
Mit Euer Gnaden ist man frei daran. Da gibts keine Flausen, keine Etikette! keine spanische Tuerei!

Er küßt der Marschallin die Hand.

MARSCHALLIN amüsiert.
Aber wo Er doch ein Bräutigam ist?


DER BARON halb aufstehend, ihr genähert.
Macht das einen lahmen Esel aus mir?
Bin ich da nicht wie ein guter Hund auf einer guten Fährte?
Und doppelt scharf auf jedes Wild nach links, nach rechts!


MARSCHALLIN.
Ich seh, Euer Liebden betreiben es als Profession.


DER BARON stehend.
Das will ich meinen,
Wüßte nicht, welche mir besser behagen könnte.
Ich muß Euer Gnaden sehr bedauern,
daß Euer Gnaden nur – wie drück ich mich aus –
nur die verteidigenden Erfahrungen besitzen!
Parole d'honneur! Es geht nichts über die von der anderen Seite!


MARSCHALLIN lacht.
Ich glaub ihm schon, daß die sehr mannigfaltig sind.


DER BARON.
Soviel Zeiten das Jahr, soviel Stunden der Tag, da ist keine –


MARSCHALLIN.
Keine?


DER BARON.
Wo nicht –


MARSCHALLIN.
Wo nicht?


DER BARON.
Wo nicht dem Knaben Cupido
ein Geschenkerl abzulisten wäre.
Dafür ist man kein Auerhahn und kein Hirsch,
sondern ist man der Herr der Schöpfung,
daß man nicht nach dem Kalender forciert ist, halten zu Gnaden!
Zum Exempel der Mai ist recht lieb für verliebte Geschäft',
das weiß jedes Kind,
aber ich sage:
Schöner ist Juni, Juli, August.
Da hats Nächte!
Da ist bei uns da droben so ein Zuzug
von jungen Mägden aus dem Böhmischen herüber:
Zur Ernte kommen sie und sind ansonsten anstellig und gut –
Ihrer zwei, dreie halt ich oft
bis im November mir im Haus,
dann erst schick ich sie heim.
Und wie sich das mischt,
das junge runde böhmische Völkel,
süß und schwer,
mit denen von uns, dem deutschen Schlag,
der scharf ist und herb wie ein Retzer Wein.
Wie sich das miteinander mischen tut!
Und überall steht was und lauert und rutscht durch den
Gattern
und schlieft zueinander und liegt beieinander
und überall singt was
und schupft was die Hüften
und melkt was
und mäht was
und planscht und plätschert was im Bach und in der Pferdeschwemm.


MARSCHALLIN.
Und Er ist überall dahinter her?


DER BARON.
Wollt ich könnt sein wie Jupiter selig
in tausend Gestalten,
wär Verwendung für jede.


MARSCHALLIN.
Wie, auch für den Stier? So grob will Er sein?


DER BARON.
Je nachdem! alls je nachdem!
Das Frauenzimmer hat gar vielerlei Arten,
wie es will genommen sein.
Da kenn ich mich aus, halten zu Gnaden!
Da ist das arme Waserl,
steht da, als könnt sie nicht bis fünfe zählen,
und ist, halten zu Gnaden, schon die Rechte, wenns drauf ankommt.
Und da ist, die kichernd und schluchzend den Kopf verliert,
die hab ich gern!
Und die herentgegen,
der sitzt im Aug ein kalter, harter Satan,
aber trifft sich schon ein Stündl, wo so ein Aug ins Schwimmen kommt.
Und wenn derselbige innerliche Satan läßt erkennen,
daß jetzt bei ihm Matthäi am letzten ist,
gleich einem abgeschlagenen Karpfen,
das ist schon, mit Verlaub, ein feines Stück.
Kann nicht genug dran kriegen!


MARSCHALLIN.
Er selber ist ein Satan, meiner Seel!


DER BARON.
Und wäre eine, haben die Gnad,
die keiner anschaut
im schmutzigen Kittel, haben die Gnad, schlumpt sie daher,
hockt in der Aschen hinterm Herd,
die wo einer zur richtigen Stund sie angeht,
die hats in sich! Die hats in sich!
Ein solches Staunen! gar nicht Begreifenkönnen!
und Angst! und auf die letzt so eine rasende Seligkeit,
daß sich der Herr, der gnädige Herr!
herabgelassen gar zu ihrer Niedrigkeit.


MARSCHALLIN.
Er weiß mehr als das ABC.


DER BARON.
Da gibt es, die wollen beschlichen sein,
sanft wie der Wind das frisch gemähte Heu beschleicht.
Und welche – da gilts,
wie ein Luchs hinterm Rücken heran
und den Melkstuhl gepackt,
daß sie taumelt und hinschlägt!
Muß halt ein Heu in der Nähe dabei sein.


MARSCHALLIN.
Nein! Er agiert mir gar zu gut!
Laß Er mir doch das Kind!


DER BARON nimmt wieder würdevolle Haltung an.
Geben mir Euer Gnaden den Grasaff da
zu meiner künftgen Frau Gemahlin Bedienung.


MARSCHALLIN.
Wie, meine Kleine da? Was sollte die?
Die Fräulein Braut wird schon versehen sein
und nicht anstehn auf Euer Liebden Auswahl.


DER BARON.
Das ist ein feines Ding! Kreuzsakerlott!
Da ist ein Tropf gutes Blut dabei!


MARSCHALLIN.
Euer Liebden haben ein scharfes Auge!


DER BARON.
Geziemt sich.

       Vertraulich.

Find in der Ordnung, daß Personen von Stand in solcher Weise von adeligem Blut bedienet werden,
führe selbst ein Kind meiner Laune mit mir.


MARSCHALLIN.
Wie? Gar ein Mädel? Das will ich nicht hoffen!


DER BARON.
Nein, einen Sohn: trägt lerchenauisches Gepräge im Gesicht.
Halt ihn als Leiblakai.
Wenn Euer Gnaden dann werden befehlen,
daß ich die silberne Rosen darf Dero Händen übergeben,
wird er es sein, der sie heraufbringt.


MARSCHALLIN.
Soll mich recht freuen. Aber wart Er einmal. Mariandel!


DER BARON.
Geben mir Euer Gnaden das Zofel! Ich laß nicht locker.


MARSCHALLIN.
Ei! Geh Sie und bring Sie doch das Medaillon her.


OCTAVIAN leise.
Theres! Theres, gib acht!


MARSCHALLIN ebenso.
Brings nur schnell! Ich weiß schon, was ich tu.

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