„Was wir wollten“: Endlich wird eine Kinderlose nicht verrückt

Der österreichische Oscar-Kandidat „Was wir wollten“ handelt von einem Thema, über das selten gesprochen wird: den unerfüllten Kinderwunsch und welche Traurigkeit er auslöst. Ein leiser, intensiver Film. Jetzt auf Netflix.

Eine Pause solle sie machen nach den vier gescheiterten In-Vitro-Befruchtungsversuchen, rät die Gynäkologin ihrer Patientin Alice (Lavinia Wilson). „Vielleicht unternehmen Sie irgendwas, was Ihnen gut tut. Vielleicht machen Sie einen schönen Urlaub“, sagt die Ärztin im Drama „Was wir wollten“. Ihre sanfte Stimme macht die Botschaft nicht weniger bitter: Es hat wieder nicht geklappt und die Pause wird eine zum Nachdenken sein – um sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass der Wunsch nach einem Baby unerfüllt bleibt.

Einen schönen Urlaub zu machen ist das letzte, was Alice will. Zu Hause wartet eine Baustelle. Sie und ihr Mann Niklas (Elyas M'Barek) haben ein Haus gekauft, die Renovierung ist teurer als geplant, und das Geld wird knapp. Auch die In-Vitro-Fertilisationen sind teuer. Die bisherigen Versuche wurden gefördert, die Kosten für weitere müsste das Paar selber zahlen. Bevor sie sich entscheiden, ob sie es weiter probieren, fahren Alice und Niklas nach Sardinien. Sie dürften schon einmal da gewesen sein, kennen die Straßen. Was damals passierte, wird man später erfahren.

Immer wieder durchbrechen Bilder die Handlung. In Rot, Orange und Gelb gehalten, im Gegensatz zu den kühleren, gedeckten Farben, die den Film dominieren. Alice und Niklas lächelnd, Kinderfüße im Sand. Sind diese Nahaufnahmen Erinnerungen oder Fantasien? „Ihre Füße berühren nur kurz den Boden“, sagt Alice einmal über die Tochter, von der sie träumt. Die warmen Bilder erinnern an die Regisseurin Marie Kreutzer, die als Cutterin am Film beteiligt war. „Was wir wollten“ ist das Regiedebüt von Ulrike Kofler, die das Drehbuch gemeinsam mit Kreutzer und Sandra Bohl schrieb.
International ist das Drama bereits seit Mitte November auf Netflix zu sehen, der sich die Rechte vor Fertigstellung sicherte. Nach Österreich kommt der Film wegen des geplanten Kinostarts verspätet, ist außerdem Oscar-Kandidat. In 39 Ländern ist das stille Drama in den Top-Ten der meistgesehenen Filme des Streamingdiensts. Die Regisseurin hat offenbar einen Nerv getroffen.

Für sie bedeute Kinderlosigkeit, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen, sagt sie. Sie hat Erfahrung mit dem Thema, „auch wenn sie objektiv betrachtet nicht ganz so dramatisch waren. Als sich mein Wunsch auf ein zweites leibliches Kind nicht mehr erfüllt hat, hat mich das in eine Lebenskrise geworfen, die mein Sein und vor allem den Blick auf das Sein verändert hat.“

Die Regisseurin kennt also die intimen Fragen über die (weitere) Kinderplanung. Solchen Fragen entgehen Alice und Niklas auch auf Sardinien nicht. In ihrem Ferienhaus steht ein Kinderbett. In den Bungalow nebenan zieht ein Tiroler Paar mit zwei Kindern ein, einem in sich gekehrten Teenager und einer vertrauensseeligen Vierjährigen. „Kinder habt ihr keine, oder? Ihr habt's es fein“, kommentiert die Tiroler Mutter. Das sei „Konfrontationstherapie“, scherzt Niklas. Alice lacht nicht, sie wirft ihm vor auszuweichen – auch mit seinem Körper.

Der unerfüllte Kinderwunsch stürzt die Beziehung in eine Krise, nimmt jede Leichtigkeit. „Du willst doch nur mit mir schlafen, weil du ein Kind willst“, beklagt sich Niklas. Der Sex ist zur Turnübung verkommen. „Vielleicht hat die Natur recht“, überlegt Alice. Da ist sie, die Frage nach der Schuld. Jedes fünfte Paar in Europa ist ungewollt kinderlos. Viele warten zu lange, bis Partnerschaft, Job und Nest perfekt passen. Trotzdem wird selten darüber gesprochen. Kinderlosigkeit ist kein Tabu, aber wer gibt schon gerne zu, unfruchtbar zu sein?

Unnatürlich und unheimlich

In Filmen gleiten kinderlose Frauen gern in den Wahn ab und versuchen Babys zu stehlen, allein in den vergangenen sechs Jahren waren darunter Jennifer Lawrence in „Serena“ (von einer Frau, Susanne Bier, gedreht!), Alicia Vikander in „The Light Between Oceans“ und Kim Basinger in „Um jeden Preis“. Kinderlosigkeit wird hier zu etwas Unheimlichem, die kinderlose Frau als unnatürlich und unfertig dargestellt.

„Was wir wollten“ ist wohltuend anders. Alice will nicht adoptieren, „so ego bin ich“, sagt sie, und sie wird auch nicht verrückt. Sie ist nur unendlich traurig. Lavinia Wilson verleiht der Figur Intensität, erweckt Verständnis und Mitgefühl, nicht Mitleid. Leid gibt bei diesem Thema ohnehin genug.

Österreich beim Auslandsoscar

Sieger in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ wurden: „Die Fälscher“ von Stefan Ruzowitzky (2008), „Liebe“ von Michael Haneke (2013).

Nominiert wurden „38 – Auch das war Wien“ von Wolfgang Glück (1987) und „Revanche“ von Götz Spielmann (2009). Hanekes „Das weiße Band“ wurde als deutscher Kandidat eingereicht und auch nominiert (2010), für den Auslandsoscar und für beste Kamera.
Nicht nominiert wurden alle österreichischen Vorschläge der letzten sieben Jahre: Julian Pölsler, „Die Wand“; Andreas Prochaska, „Das finstere Tal“; Veronika Franz/Severin Fiala, „Ich seh ich seh“; Maria Schrader, „Vor der Morgenröte“; Michael Haneke, „Happy End“; Ruth Beckermann, „Waldheims Walzer“. Der Vorschlag für 2020, „Joy“ von Sudabeh Mortezai, wurde wegen zu hohen Englischanteils disqualifiziert.

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