Flucht mit der Transsib

Wenn Grausamkeit und Wunder eng beieinanderliegen: Beatrix Kramlovsky über eine märchenhafte Odyssee durch Sibirien.

Eine Ochsentour: 10.000 Kilometer durch Sibirien, von Chabarowsk, das 750 Kilometer nordnordöstlich von Wladiwostok liegt, nach Sankt Petersburg und schließlich nach Wien – am besten, man verfolgt diese Route im Atlas (oder auf Google Maps), um sich den Weg, den eine Handvoll aus einem Lager entflohener Kriegsgefangene der k. u. k. Monarchie vor sich haben, zu vergegenwärtigen. Statistisch gesehen und unter idealen Bedingungen wäre man heutzutage mit dem Auto etwa fünfeinhalb Tage, mit der Eisenbahn acht Tage und zu Fuß rund 2000 Stunden (je nach Tempo) unterwegs. Dass es in Sibirien keine idealen Bedingungen geben kann, ist eine andere Geschichte. Diese unvorstellbare Reise, mit Eisenbahn, Pferdewagen und anderen Fuhrwerken zurückgelegt, dauert von März 1918 bis April 1921.

Die Schriftstellerin und bildende Künstlerin Beatrix Kramlovsky bekam vor vielen Jahren das Typoskript eines k. u. k. Berufsoffiziers, der für seine Familie die Erinnerungen an seine russische Kriegsgefangenschaft festhalten wollte. Aus diesem und zahlreichen anderen Berichten aus den 1920er-Jahren goss Kramlovsky den Roman „Fanny oder Das weiße Land“, dessen zwei Hauptmotive, die Liebe und die Kunst, den Protagonisten Karl Findeisen durch die Jahre der Kriegsgefangenschaft, das Eis und die monumentalen Landschaften Sibiriens trägt. Der physischen und psychischen Zersetzung durch den jahrelangen Aufenthalt im Lager von Chabarowsk entgeht Findeisen vor allem durch die Briefe seiner Lebensgefährtin Fanny, mit der er einen Sohn hat. Sie schreibt ihm poetische Briefe, in denen sie von ihrem Alltag in Wien und dem Aufwachsen von Max erzählt. Mit wochen- oder gar monatelanger Verzögerung kommen diese Briefe an und bilden für Findeisen ein Lebenselixier, er liest sie immer wieder, lernt sie auswendig. Auszüge aus diesen Briefen sind jedem Kapitel vorangestellt, dazwischengeschaltet sind auch Findeisens Briefe an Fanny.

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