Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Wieder und wieder. Annie Ernaux, in diesem Jahr 80 geworden.o:

Ohne Schreiben kein Leben

Annie Ernaux bezeichnet sich als Ethnologin ihrer selbst und meint es in ihrem Prosawerk „Der Platz“ bitterernst mit sich: Manisch insistierend analysiert sie ihre Person, Herkunft, Entwicklung und deren zornige Deutung.

Dass Autobiografie Fiktion ist, weiß man nicht erst seit Simone de Beauvoirs „Memoiren einer Tochter aus gutem Haus“. Interessanter dürfte ein anderer Umstand sein: Egal wie fiktional die Schrift über das eigene Selbst auch ausfallen mag, die Person, die sie verfasst, nimmt sich ernst. Annie Ernaux, die kürzlich achtzig Jahre alt wurde, meint es bitterernst mit sich. Das ist bei Frauen ihrer Generation eher eine Seltenheit.

Den Begriff der Autobiografie, der heute in der Literaturwissenschaft vielfach dem der Autofiktion gewichen ist, zieht sie gar nicht erst heran. Ernaux eröffnet ein Feld jenseits der Diskussion von Wirklichkeit und Fiktion, indem sie sich als Ethnologin ihrer selbst bezeichnet. In den Fluten der selbstbezogenen Literatur ist sie etwas Besonderes. Das liegt nicht an der kleinbürgerlichen „Klasse“, in die sich ihre Eltern, von Arbeitern und Tagelöhner abstammend, hinaufgearbeitet haben, auch wenn das immer wieder von ihr bekräftigt wird. Das Besondere liegt an Ernaux' avantgardistischer Position. Lange vor Knausgård und Kompanie gilt ihr bohrender Blick ausschließlich sich selbst. Mit geradezu manischer Insistenz, ohne die Frage der Eitelkeit überhaupt zu berühren, stürzt sie sich auf die Analyse ihrer Person, ihrer Herkunft, ihrer Entwicklung und deren zorniger Deutung, die sie hinter einer kühlen Sprache verbirgt. Die Emotionslosigkeit ist irreführend. Gefühl wird in ihren Schriften durch Besessenheit ersetzt. Die Besessenheit zeigt sich in der Methode: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Wieder und wieder.

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