Keine Mauer steht auf Dauer

Unter „Grenze“ versteht der Althistoriker Alexander Demandt viel mehr als eine territoriale Einhegung. Sein kenntnisreiches Buch liefert keine große Erzählung, schon gar keine Theorie von der Grenze, ist vielmehr eine Fundgrube an erstaunlichen Beobachtungen.

Grenzen haben seit einiger Zeit keine gute Nachrede mehr. Sie trennen Menschen, sind willkürlich, verfestigen Ungerechtigkeiten, behindern den Verkehr von Personen, Waren und Dienstleistungen, führen zu Gesten der Abschottung und Zurückweisung. Die Forderung „No Border“ erfreut sich unter politischen Philosophen und Friedensaktivisten großer Beliebtheit, so, als wären die Probleme, die Kriege und Bürgerkriege, ungleich verteilter Reichtum und kulturelle Differenzen mit sich bringen, gelöst, öffnete man nur alle Grenzen. Die im Zuge der Corona-Pandemie vorgenommenen Grenzschließungen erfüllten manche mit Schauder – ein Rückfall in die Barbarei einer geteilten und aufgeteilten Welt.

Grenzen werden deshalb gerne unter moralischen Gesichtspunkten diskutiert. Einen nüchternen, weil durch die Geschichte gelenkten Blick auf Grenzen wirft der renommierte Althistoriker Alexander Demandt in einer umfangreichen Studie zu diesem Thema. Ob der Fülle des Materials, das hier vor dem Leser ausgebreitet wird, erstaunen vorab die Omnipräsenz und Ubiquität von Grenzen „in Geschichte und Gegenwart“ – so der Untertitel dieses Buches. Seitdem Menschen in der Jungsteinzeit sesshaft wurden und dadurch „den zivilisatorischen Fortschritt“ ermöglichten, leben wir in definierten Räumen. Völker, so der Historiker, die ihr abgegrenztes Territorium verlieren, „verschwinden“ in der Regel aus der Geschichte. Einzig „die Juden und die Zigeuner“ waren auch ohne abgeschlossenen Siedlungsraum über Jahrtausende hindurch überlebensfähig.

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