Treibhausgase

Bürgerbeiräte für das Klima

Individualverkehr ist derzeit das größte Sorgenkind in der Klima- und Umweltpolitik.
Individualverkehr ist derzeit das größte Sorgenkind in der Klima- und Umweltpolitik.imago images/Future Image
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Jetzt ist die Stunde des Handelns: Das ist die Auffassung der Klimawissenschaft. In der „Die Presse“-Serie über Österreichs Klimapolitik erläutert ein Experte heute, warum Bürgerbeiräte zentrale Bedeutung haben sollten und dass das Fenster für die Trendumkehr nicht mehr lange offen bleibe.

Die Ankündigung von Bundeskanzler Kurz, bis 2040 den Netto-Ausstoß von Treibhausgasen auf Null zu reduzieren, kommt nicht überraschend. Denn schon immer war Österreich bei der Ankündigung ambitionierter Umweltziele lautstark und nicht zu überhören. Die Realität allerdings ist deutlich kleinlauter gewesen.

Bezugsgröße für die klimapolitischen Berechnungen ist der Stand des Jahres 1990. Vor 30 Jahren sind aus österreichischen Quellen 78,5 Millionen Tonnen Treibhausgase (ein Mix mehrerer Gase, die in CO2-Äquivalent umgerechnet werden) in die Atmosphäre ausgestoßen worden. Die derzeit aktuellen Zahlen weisen mit Ende 2018 einen Ausstoß von 79 Millionen Tonnen aus – keine Verringerung, sondern eine Steigerung um 0,6 %. In den vergangenen drei Jahrzehnten sind die Entwicklungen niemals aufKurs zur Zielerreichunggewesen; im Gegenteil. 2005 wurde ein Höchststand von 92, 6 Millionen Tonnen erreicht, erst allmählich sanken die Zahlen in den Folgejahren. Den größten Einfluss auf die österreichische CO2-Bilanz hat das Wetter im Winter: Bleiben längere Phasen eisiger Temperaturen aus, wird weniger geheizt. Für mildere Treibhausgas-Bilanzen sind vor allem mildere Temperaturen, konjunkturelle Schwankungen und manchmal auch einfach ein Hochofen verantwortlich, der länger außer Betrieb genommen wird - und jedenfalls keine gezielten Maßnahmen.

In den meisten EU-Ländern ist die Entwicklung anders als in Österreich verlaufen: In vielen Staaten ist der Ausstoß der Klimagase teilweise deutlich gesunken – dafür gibt es vor allem zwei Ursachen. Nach dem Hochgehen des Eisernen Vorhangs, der Mitteleuropa jahrzehntelang getrennt hatte, sind die osteuropäischen Industrien zugesperrt worden, die sehr energieintensiv produziert haben und bei weitem nicht den damals üblichen Umweltstandards gerecht wurden. Die Schließung dieser Anlagen hatte sich direkt und deutlich in den CO2-Bilanzen niedergeschlagen. Und andererseits haben sich die Umstellung von Öl auf Gas (insbesondere in Großbritannien) und der Boom für Windkraft und Photovoltaik ausgewirkt. Auf EU-Ebene geht man davon aus, dass gegenüber 1990 der Ausstoß von Treibhausgasen um fast ein Viertel geringer wird (EU-weit geplant war ein Minus von 20 Prozent).

Die Europäische Union hat also bereits einen Teil des Weges zurückgelegt. Das ist der Hintergrund, vor dem auf dem EU-Gipfel im Dezember beschlossen worden ist, den Ausstoß stärker zu verringern. Ursprünglich war ein Minus von 40 Prozent geplant, nun sollen bis 2030 die Emissionen von Treibhausgasen um 55 Prozent verringert werden; in den folgenden zwei Jahrzehnten bis 2050 soll dann die Klimaneutralität erreicht werden.

Österreich ist den Weg auf dem Reduktionspfad bisher nicht mitgegangen. 55 % minus bedeutet hierzulande tatsächlich mehr als Halbierung bis 2030. Angesichts dessen ist die Ankündigung, die Klimaneutralität 2040 – und damit zehn Jahre vor der übrigen EU-Staaten – erreichen zu wollen, mutig. Karl Steininger, Professor für Klimawirtschaft und Übergang zur nachhaltigen Wirtschaft am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Universität Graz, sieht dies ambivalent: „Mit der EU haben wir eine Chance loszugehen.“ Andererseits sagt er auch: „Wenn wir ausschließlich die Ziele anheben, erhöht das nur die Ängste.“

Nötig seien fundamentale Weichenstellungen, für die es nicht mehr viel Zeit gebe. „Die Rahmenbedingungen müssen jetzt gesetzt werden, sonst verfehlen wir auch die jetzt gesetzten Ziele. Die Politik muss die Entscheidungen fällen.“ Steininger, der auch stellvertretender Leiter des Wegener Centers ist, ergänzt aber, dass das allein zu wenig sei. Er fordert eine breite gesellschaftliche Debatte und stellt sich vor, dass einzelne Maßnahmen in „Bürgerbeiräten“ diskutiert werden könnte. „Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens.“ Wenn die Klimaziele ernst gemeint seien, dann sei deren Erreichung nur über eine neue Definition von Wohlstand und auch viele Preissignale erreichbar. „Klimaschädliches Verhalten muss teurer werden.“ Der Wissenschaftler warnt allerdings, dass es insbesondere für die Industrie Übergangsfristen geben müsse. „Die Wirtschaft braucht dringend Sicherheit, um Investitionen planen zu können, und ein innovationsfreundlicheres Klima.“

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