Den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, ist bisher ausschließlich Ankündigungen vorbehalten geblieben. Mit einem Perspektivenwechsel könnte sich dies ändern, meint Volkswirtschafter Stefan Schleicher. Teil 4 und Schluss der „Die Presse“-Serie über Österreichs Klimapolitik.
In der Klimapolitik liegt für Stefan Schleicher der Schlüssel im Energiesystem. Hier lädt der Wissenschaftler zu einer anderen Betrachtungsweise ein: „Wir haben das Thema bisher vor allem vom Input her betrachtet. Welche Energieformen werden genutzt und wie effizient sind sie? Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber besser wäre es meines Erachtens, wenn wir uns den Output anschauen. Also darauf blicken, wofür wir die Energie konkret nutzen wollen.“
Der Volkswirtschafter Schleicher ist seit mehr als 30 Jahren in der heimischen Klimapolitik zu Hause und hat sie phasenweise mitgestaltet – beginnend mit der Aufbereitung einer konkreten realpolitischen Umsetzung des so genannten „Toronto-Ziels“ in den 1990er-Jahren. Das Ziel bestand in der Verringerung des CO2-Ausstoßes bis 2005 um 20 Prozent (Basisjahr 1988, weshalb rechnerisch der Zielwert 44,8 Millionen Tonnen CO2 hätte sein müssen), umgesetzt wurden die Maßnahmen nicht, das Ziel wurde deutlich verfehlt. Derzeit forscht Schleicher am Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel an der Uni Graz.
„Die Frage, die wir uns stellen müssen, sollte lauten: Welche Dienstleistungen erwarten wir von einem Energiesystem?“ Deshalb schlägt er vor, weniger auf die Mobilität (den größten Einzelfaktor in der Bilanz der heimischen Treibhausgase) zu achten als vielmehr auf den Neubau und die Renovierung von Gebäuden. Schleicher: „Sie sind weitaus langlebiger und ihre Ausgestaltung ist ausschlaggebend dafür, in welchem Ausmaß Mobilität ausgelöst wird.“
Stefan Schleicher plädiert für sogenannte „Quartierlösungen“ – etwa für die Errichtung von Neubauten auf ehemaligen Industrieflächen, die allerdings nicht nur einem Zweck dienen, sondern gemischte Nutzung forcieren. Wohnen, Nahversorgung, Weiterbildung bis hin zu Uni-Standorten, Freizeit, Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Car sharing – dadurch werde die Nachfrage nach Mobilität deutlich verringert. Niedrigenergie und Photovoltaik sollten selbstverständlich sein, dazu kommt noch die konsequente Nutzung von Abwärme – „zum Beispiel jene von Abwasser oder auch die von Servern.“ Eine solche innovative Umgebung sein attraktiv für start-ups.
Schleicher plädiert für die Bauteilaktivierung als Wärmespeicherung und warnt vor undifferenzierter Holznutzung. „Es gibt eine Nutzungskonkurrenz und meines Erachtens ist Holz zu schade, in der Erstnutzung verbrannt zu werden.“ Schon jetzt werde Holz als Baustoff geschätzt, künftig vielleicht als Rohstoff für Kunststoffe.
Schleicher: „Wir brauchen eine zielorientierte Transformation. Ein großes Defizit besteht nicht nur bei Maßnahmen, sondern derzeit jedenfalls auch in der Kommunikation“, obwohl derzeit die Klimapolitik und die sich aus ihr ableitenden Maßnahmen zum Allgemeingut geworden zu sein scheinen. „Es ist wichtig, dass gerade in der jetzt bevorstehenden Phase, wenn es um die Überwindung der Folgen der Corona-Krise geht, wir in breiter Öffentlichkeit auch über Industrie-Perspektiven diskutieren.“
Ein Versprechen zu geben, „nach Corona wird alles wie es vorher war“, sei jedenfalls ein Schritt in die völlig falsche Richtung, glaubt der Wissenschaftler. „Die Frage lautet: Wie sehen zukunftsfähige Strukturen aus? Diese Diskussion müssen wir führen.“ Schleicher wagt keine Prognose, ob der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent verringert werden kann. „Es wird davon abhängen, wie wir aus der Corona-Krise herauskommen. Weiterzumachen wie davor, wäre jedenfalls fatal.“