Brexit

"Der Deal ist da": Großbritannien und EU einigen sich auf Handelspakt

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Am Heiligen Abend gab es doch noch einen Deal für die Zeit nach dem Brexit ab Jahreswechsel. Premier Johnson versichert, dass die Briten enge Verbündete der EU bleiben. Das britische Parlament soll am 30. Dezember abstimmen, das EU-Parlament erst im neuen Jahr.

Die Krawatte des britischen Premierministers Boris Johnson war ein dezenter Hinweis, worüber die Verhandler von EU und Großbritannien zuletzt noch immer diskutiert hatten. Die Fischerei-Rechte. Doch eine Woche vor dem Ende der Übergangsfrist haben sich die EU und Großbritannien auf die Grundlagen ihrer künftigen Beziehungen nach dem Brexit geeinigt. "Der Deal ist da", teilte die Downing Street am Donnerstagnachmittag mit, nachdem ähnliche Signale auch aus EU-Kreisen zu vernehmen waren. Die Verhandlungsteams schlossen nach monatelangem Ringen ihre Gespräche über ein gemeinsames Handelsabkommen ab. Ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Großbritannien zum Jahreswechsel ist damit wohl verhindert. Da auf EU-Seite nicht mehr genügend Zeit für eine Ratifizierung des Deals bleibt, können die Bestimmungen zunächst nur vorläufig angewendet werden. Dazu braucht es jedoch die Zustimmung der 27 EU-Staaten.

Die Vereinbarung sieht nach dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt zum Jahresende weiter einen Handel ohne Zölle und ohne mengenmäßige Beschränkungen vor. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die Vereinbarung als "fair" und "ausgewogen". Der britische Premierminister Johnson sprach von einem "guten Abkommen". Aus zahlreichen EU-Ländern kamen positive Reaktionen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte die Einigung, betonte aber, man werde die Vereinbarung nun sorgfältig prüfen.

Am Freitag hat EU-Chefunterhändler Michel Barnier die Botschafter der 27 EU-Staaten über die Ergebnisse der Verhandlungen informiert. Das Briefing durch den Franzosen habe begonnen, schrieb ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am Freitag auf Twitter. Die EU-Mitgliedstaaten würden die 1246 Seiten des Abkommens nun prüfen und "diese gewaltige Aufgabe in den kommenden Tagen fortsetzen".

Bis zuletzt wurde um die Fischerei-Rechte gestritten

Die Unterhändler einigten sich auch beim zentralen Streitthema Fischfang. Das Abkommen sieht eine Übergangszeit von fünfeinhalb Jahren für die Kürzung der Fangquoten für EU-Fischer vor. Laut EU-Vertretern wurde mit Großbritannien in dieser Zeit eine Verringerung der Fangmengen um 25 Prozent vereinbart. Ab Juni 2026 solle dann jährlich erneut über die Fangquoten verhandelt werden.

Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat den Fischern in der EU die Unterstützung Brüssels zugesichert. "Die EU wird an der Seite der europäischen Fischer stehen und sie begleiten, dafür setzen wir uns ein", erklärte Barnier am Donnerstag. Das Abkommen ermögliche beiderseitigen Zugang zu den Fischgründen, wobei künftig neue Fangquoten und eine neue Aufteilung der Fischereizonen gelte. "Dieses Abkommen verlangt Anstrengungen, das weiß ich", sagte Barnier.

Trotz des geringen wirtschaftlichen Gewichts ist der Sektor für Mitgliedstaaten wie Frankreich, die Niederlande, Dänemark und Irland von großer politischer und sozialer Bedeutung. Auf der anderen Seite ist die Kontrolle über die eigenen Gewässer für viele Briten zum Symbol der durch den Brexit wiedergewonnenen Souveränität geworden. EU-Fischer fangen Meerestiere im Wert von jährlich rund 650 Millionen Euro in britischen Gewässern.

Von der Leyen sagte, das Abkommen könne "eine solide Basis" für die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich sein. Es garantiere faire Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen auf beiden Seiten und sehe auch Zusammenarbeit in Bereichen wie Klimapolitik, Energie oder Verkehr vor.

Barnier und von der Leyen verkünden die EU-Sicht auf den Pakt.
Barnier und von der Leyen verkünden die EU-Sicht auf den Pakt.REUTERS

Britisches Parlament soll am 30.12. abstimmen

Johnson versicherte, sein Land werde Freund, Verbündeter und "wichtigster Markt" der EU-Staaten bleiben. Großbritannien bleibe ein "vertrauenswürdiger Partner", sagte auch von der Leyen. Sie forderte gleichzeitig die EU-Bürger auf, viereinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum in die Zukunft zu schauen. "Es ist Zeit, den Brexit hinter uns zu lassen", sagte sie.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, die Einigung sei "von historischer Bedeutung". Die deutsche Bundesregierung werde den Abkommenstext nun intensiv prüfen. Es werde rasch klar sein, "ob Deutschland das heutige Verhandlungsergebnis unterstützen kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier ein gutes Resultat vorliegen haben", erklärte Merkel.

Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten, bis zum Jahresende bleibt das Land aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Nach der Einigung auf Verhandlungsebene müssen auf EU-Seite auch die Regierungen aller 27 EU-Mitgliedstaaten dem Ergebnis zustimmen.

Der deutsche EU-Vorsitz setzte für Freitagvormittag ein Treffen der EU-Botschafter in Brüssel an, das diesen Prozess einleitet. Dabei soll EU-Unterhändler Michel Barnier über Details des komplexen Abkommens informieren. Der Zustimmungsprozess in den Mitgliedstaaten dürfte mehrere Tage in Anspruch nehmen.

In Großbritannien muss auch das Parlament die Einigung absegnen. Dafür sollen die Abgeordneten bereits am 30. Dezember zusammenkommen. Die oppositionelle Labour-Partei signalisierte noch am Donnerstag ihre Zustimmung.

EU-Parlament stimmt erst 2021 ab

Das EU-Parlament dagegen will nach Angaben seines Präsidenten David Sassoli mit einer Entscheidung indes bis Anfang nächsten Jahres warten. Durch die "Dauer der Verhandlungen" und die "kurz vor knapp" getroffene Einigung sei eine genaue Prüfung des Vertrags durch die Abgeordneten bis Jahresende nicht möglich, erklärte Sassoli.

Die EU-Kommission will deshalb vorschlagen, das Abkommen bis Ende Februar zunächst vorläufig anzuwenden. Es könnte dann Anfang 2021 im Nachgang vom EU-Parlament ratifiziert werden.

So geht es weiter

EU-Staaten bekommen den Text vorgelegt

Die EU-Kommission leitet nun den Text des Abkommens an die Mitgliedstaaten weiter. Der deutsche EU-Vorsitz hat eine außerordentliche Sitzung der EU-Botschafter für Freitagvormittag (10.30 Uhr) einberufen. EU-Chefunterhändler Michel Barnier wird dabei die Vertreter der Mitgliedstaaten über das Verhandlungsergebnis unterrichten.

Prüfung in den Mitgliedstaaten

Die Weihnachtspause dürfte für viele Handels- und Rechtsexperten in den Hauptstädten der EU-Mitgliedsländer ausfallen. Sie müssen nun in Windeseile den Text des hunderte Seiten starken Abkommens prüfen. Jede Regierung muss dann entscheiden, ob sie dem Verhandlungsergebnis zustimmt. In vielen Fällen reicht dafür ein Kabinettsbeschluss. In Ländern mit einer Minderheitsregierung sind aber vielleicht auch Gespräche mit der Opposition nötig oder auch eine parlamentarische Beteiligung.

Weitere Sitzung der EU-Botschafter

Sind alle Länder so weit, kommen in Brüssel erneut die EU-Botschafter zusammen - aller Voraussicht nach Anfang kommender Woche. Sie könnten dann ein schriftliches Verfahren einleiten, über das die EU-Länder gemeinsam ihre Zustimmung zu dem Handelsabkommen formal erklären.

Unterzeichnung

Das Abkommen wird dann von der EU unterzeichnet und im Amtsblatt der EU veröffentlicht,

Vorläufige Anwendung

Die EU-Kommission will eine vorläufige Anwendung des Handelsdeals bis Ende Februar vorschlagen. Denn für eine reguläre Ratifizierung durch das Europaparlament reicht die Zeit bis Jahresende nicht mehr. Sie soll Anfang 2021 im Nachhinein erfolgen. Der vorläufigen Anwendung müssten nur die Mitgliedstaaten zustimmen, nicht auch das Parlament. Es ist aber wahrscheinlich, dass die EU-Kommission die Abgeordneten konsultiert.

Reaktionen

Auch die deutsche Bundesregierung will unbedingt ein vorläufiges Inkrafttreten erreichen. "Wir wollen als Ratspräsidentschaft alles tun, damit das Abkommen rechtzeitig zum 1.1.2021 vorläufig in Kraft treten kann", erklärte Außenminister Heiko Maas.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erklärte, "Einigkeit und Stärke" der EU hätten sich ausgezahlt. Irlands Regierungschef Michael Martin sprach von einem "guten Kompromiss".

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte die Einigung via Twitter. "Wir werden die Vereinbarung nun sorgfältig prüfen. Insbesondere möchte ich @vonderleyen und @MichelBarnier für ihre unermüdlichen Bemühungen danken", hieß es dort. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) dankte Barnier und twitterte: "Ich begrüße den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen EU-GB. Das Abkommen wird die Grundlage für eine starke und nachhaltige zukünftige Partnerschaft bilden."

Europaministerin Karoline Edtstadler (ebenfalls ÖVP) ließ umgehend in einer Aussendung wissen: "Ich begrüße den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Das Abkommen ist eine solide Grundlage für eine starke Partnerschaft der Zukunft."

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) meinte: "Ich bin froh, dass in letzter Sekunde noch eine Einigung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien gelungen ist. Damit konnte größerer Schaden für unsere Wirtschaft abgewendet werden. Funktionierende Handelsbeziehungen brauchen funktionierende Partnerschaften auf Augenhöhe.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner teilte der APA mit: "Es gibt natürlich in erster Linie Erleichterung über die Einigung. Die Schlechteste aller Optionen wäre ein harter Brexit gewesen. Ein No-Deal hätte viel Schaden verursacht - für die Bevölkerung und die Wirtschaft der EU und des Vereinigten Königreiches. Gut, dass der britische Premier seinen Populismus beendet und im Finale der Verhandlungen Zugeständnisse gemacht hat. Demokratiepolitisch ist der Vorgang jedoch kritisch zu sehen. Hier wird in letzter Minute ein 2.000 Seiten dickes Vertragswerk über einen Handelspakt durch die Institutionen gepeitscht. Die Sozialdemokratie wird sehr genau darauf achten, welche sozialen und umweltpolitischen Folgen dieser Deal nach sich zieht."

Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas schrieb auf Twitter: "Den #NoDealBrexit konnten @vonderleyen & @MichelBarnier abwenden. Das Handelsabkommen, das es vor der Abstimmung im EU-Parlament genau zu prüfen gilt, kann aber nicht alle Wunden heilen, die der #Brexit hinterlässt."

SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder ließ wissen: "Schlussendlich hat sich die Vernunft durchgesetzt. Diese Lastminute-Einigung auf ein Post-Brexit-Handelsabkommen verhindert einen GAU, von dem wir durch die Lkw-Kolonnen der letzten Tage einen Vorgeschmack bekommen haben. Das "Chaos der letzten Tage und die viel zu späte Einigung" seien alleine die Schuld Johnsons. "Er hat bis zuletzt an seinem verantwortungslosen Kurs festgehalten."

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, erklärte: "Der Brexit kennt keine Gewinner. Dass sich die EU in den langen Verhandlungen mit Großbritannien nicht hat spalten lassen, ist das einzige positive Resümee dieser Brexit-Verhandlungen. (...) Die vom Brexit betroffenen ArbeitnehmerInnen und Regionen mit EU-Mitteln zu unterstützen, ist Ausdruck gelebter europäischer Solidarität."

Als eine "Nachricht, die in der österreichischen Wirtschaft für Erleichterung sorgt" sah Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), das nach langen und harten Verhandlungen vereinbarte Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich.

Damit sei sichergestellt, dass es nach Ende der Übergangsphase am 31.12.2020, während der die Briten trotz Brexit den EU-Regeln unterliegen, halbwegs geordnete Verhältnisse statt Chaos in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Ländern der EU und Großbritannien gibt. "Zumindest gibt es Klarheit und Planungssicherheit. Die Betriebe wissen, woran sie sind", so Kühnel.

(APA/dpa/Reuters)

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