Terroranschlag

Kommission ortet schwere Versäumnisse des Verfassungsschutzes

PK BMI 'VORSTELLUNG DES KONZEPTS 'RAPID RESPONSE TEAMS' DES EKO COBRA/DSE'
PK BMI 'VORSTELLUNG DES KONZEPTS 'RAPID RESPONSE TEAMS' DES EKO COBRA/DSE'APA/Roland Schlager
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Erst zehn Monate nach der vorzeitigen Entlassung von K.F. legte das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) eine erste Risikoeinschätzung vor.

Der Zwischenbericht zum Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am 2. November 2020 liegt vor. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hatten eine unabhängige Untersuchungskommission beauftragt, um die Versäumnisse und allfällige Pannen im Vorfeld bzw. rund um den Terroranschlag zu klären.

Der spätere Attentäter wurde im Dezember 2019 vorzeitig aus einer 22-monatigen Haftstrafe wegen terroristischer Vereinigung auf freien Fuß gesetzt. Hinsichtlich der bedingten Entlassung heißt es in dem Bericht, das Gericht sei der Empfehlung der Jugendgerichtshilfe betreffend eines Kontaktverbots und einer psychotherapeutischen Behandlung des jungen Mannes nicht gefolgt. Dabei handle es sich um eine Entscheidung der unabhängigen Rechtsprechung auf Grundlage der Gesetze.

Risikoeinschätzung dauerte zehn Monate

Während der Justiz richtiges Handeln zugesprochen wurde, kritisierte die Kommission unter dem Vorsitz von Ingeborg Zerbes das Vorgehen des Innenministeriums. Die Erstbewertung zur Risikoeinschätzung des späteren Attentäters K.F. habe knapp zehn Monate gedauert - eine viel zu lange Zeit. So heißt es in dem Bericht wörtlich:

„Nach einer Gefährderansprache an ihn (17.12.2019, kurz nach seiner bedingten Entlassung am 5.12.2019), in der er sich unkooperativ zeigt, hat das LVT Wien ihn für eine Risikoeinschätzung nach RADAR-iTE vorgesehen. Tatsächlich hat es aber erst am 11.9.2020 eine Erstbewertung vorgelegt, die zweimal nachgebessert werden musste und daher erst am 7.10.2020 abgeschlossen wurde. Die lange Dauer des Bewertungsvorganges wurde seitens der Dienststelle mit Ressourcenknappheit und mangelnder Zeit, die neben den anderen Aufgaben für RADAR-iTE-Bewertungen zur Verfügung steht, begründet. Sollte das zutreffen, läge darin nach Ansicht der Kommission ein Organisationsmangel: Dass eine Erstbewertung fast zehn Monate dauert, erscheint nicht akzeptabel.“

Auch bezüglich der Warnungen aus der Slowakei sieht die Kommission die Fehler beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT):

„Beim versuchten Kauf von für Militärwaffen geeigneter Munition wurde erst vier Wochen nach einem Hinweis aus der Slowakei an das BVT K.F. als einer der Käufer erkannt, weil das BVT diese Zeit hat verstreichen lassen, bevor es das LVT Wien um Identifikation ersucht hat."

Die Begründung, man habe auf die Identitätsbestätigung von K.F. aus der Slowakei gewartet, leuchte der Kommission nicht ein: Ein Mitarbeiter des LVT Wien hatte K.F. auf den Bildern aus der Slowakei vermutet. Da eben dieser Sachbearbeiter damals in die Amtshandlung gegen K.F. eingebunden war, hätte dessen Vermutung dieselbe Wirkung für das BVT haben müssen wie eine Bestätigung aus der Slowakei, heißt es in dem Bericht. Demnach hätte eine deutlich höhere Gefahreneinstufung erfolgen müssen.

Empfehlungen an die Justiz

Der Justiz legte die Untersuchungskommission zwei konkrete Empfehlungen vor. Einerseits sollte bei verurteilten Islamisten zukünftig „die Deradikalisierungsarbeit, die gerade auch bereits im Vollzug wichtig wäre, strukturell und gesetzlich besser verankert und finanziell besser ausgestattet werden“. Und zweitens sollten vor der Entlassung verurteilter terroristischer Straftäter Fallkonferenzen eingerichtet werden, „in denen die verschiedenen Institutionen, die alle zur Gefahrenabwehr beitragen sollen, in einem vertraulichen Rahmen regelmäßig Informationen austauschen".

Zadić zufolge würden die Empfehlungen im Zuge des ersten Anti-Terror-Pakets ausgebaut und verpflichtend - zumindest in allen Fällen im Zusammenhang mit Extremismus. Ein entsprechender Entwurf sei bereits in Begutachtung. Der Endbericht der Untersuchungskommission soll Ende Jänner vorliegen. Die Erkenntnisse und Empfehlungen daraus würden laut Zadić in den zweiten Teil des Anti-Terror-Maßnahmenpakets sowie in die Strafvollzugsreform einfließen.

Die am 26. November ins Leben gerufene Kommission untersucht einerseits die mit dem Attentäter zusammenhängende Arbeit der Gerichte, der Staatsanwaltschaften und der Strafvollstreckungsbehörden. Zudem wird das Handeln der unmittelbar zur Abwehr von terroristischen Gefahren zuständigen Dienststellen überprüft.

Reaktionen der Opposition

Die Opposition sah sich durch den Zwischenbericht in ihrer Kritik bestätigt. Für SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner macht er deutlich, „dass der verbale Angriff auf die Justiz von Bundeskanzler Kurz und Innenminister Nehammer ein reines Ablenkungsmanöver vom Versagen des Innenministeriums war". Die FPÖ - unter deren Innenminister Herbert Kickl die Razzia des Jahres 2018 stattfand - fühlte sich in ihrer Kritik am BVT bestärkt. „Dieses durch jahrzehntelange tiefschwarze Personalpolitik völlig zerstörte Amt ist offenbar nicht einmal willens und in der Lage, andere Behörden des BMI über brisante Gefahren zu informieren", meinte Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer. Für NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos zeichnet der Bericht ein „vernichtendes Bild vom Zustand der österreichischen Sicherheitsbehörden, allen voran vom Zustand des BVT". Neos-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper forderte eine „völlige Neuaufstellung" des „von Beginn an von der ÖVP als parteipolitische Spielwiese missbrauchten" Verfassungsschutzes.

>> Zum Zwischenbericht der Untersuchungskommission

(APA/ozl)

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