Pizzicato

Der erste Tag

Greber
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In der Nacht hat's geknallt und geblitzt wie aus Trotz. Dann war es still. Und schön. Frohes neues Jahr! Wird schon.

Gegen Mitternacht war in der schwarzen Kälte ein unglaublich dichter Nebel herangezogen, der eindeutig aus dem Horrorfilm „The Fog" von John Carpenter aus dem Jahr 1980 stammte. Er hing und waberte und schob sich bedrohlich zwischen den Wohnblöcken unserer Gegend und den fast laublosen Baumskeletten hindurch, während es überall knallte und hallte und Lichter trüb gen Himmel stiegen, herrlich schön, wie aus dem Trotz heraus, justament gegen die heuer besonders verbreitete Kritik an, mithin sogar Hetze gegen Feuerwerk ein lautes, feuriges Zeichen zu setzen.

Das mit dem Knallen muss man aber auch nicht übertreiben, klar. Einfach brav sein, Vulkane etwa und Leuchtkugelbatterien sind viel schöner.

Besonders lustig waren die beiden Familien aus der Nachbarschaft, die mit ihren Hunden durch den nächtlichen Nebel spazierten, und die Bellos waren in dem Lärm, der heuer indes zumindest ein wenig kürzer dauerte als sonst, ziemlich ungerührt. Na eben, geht ja.

Kurz vorher hatten wir aus Tradition heraus die „Zeitmaschine" angeschaut, die legendäre Verfilmung des Romans von H. G. Wells, und am Vormittag ging ich beim Tankstellengeschäft 300 Meter weiter Milch holen. Unendlich still und leer schien es in unsrem Ort südlich von Wien, der Kirchturm verschwand ganz oben im Nebel, die Kälte war feucht und der Asphalt schmierig, da und dort eisig. Zwei Jogger rannten vorbei. Drei, vier Autos in zehn Minuten. Nicht einmal dieser ältere Nachbar, den ich sonst fast täglich sehe, war zu erspähen.

Greber

Kalte Feuchte auf faulenden Blättern von Büschen und Unkraut am Wegesrand. Immerhin waren da - schon wieder, oder noch immer - die lustigen Trinker an der anderen Tankstelle, also nicht bei jener mit dem Geschäft, sondern bei der 50 Meter weiter, der italienischen. Egal. Die Typen waren zumindest eine Konstante in all dem Wahnsinn. Kürzlich gab es dort sogar eine Schlägerei. Har har!

Stille. Kälte. Feuchte. Ein Radler fuhr vorbei. Ich ging zur Kirche, wollte Kerzen für liebe Menschen, die nicht mehr sind, anzünden, aber das Tor war versperrt. Weiter über den leeren Parkplatz, entlang des Bahndamms, eine praktisch leere S-Bahn Richtung Wien hielt bei der Haltestelle. Das nette Lokal dort war leer, wie schon seit Wochen, und ich freue mich schon, wenn man wieder auf der schönen Terrasse sitzen, Bier trinken und ab dem späten Nachmittag zusehen kann, wie die S-Bahnen aus Wien aus der Arbeit kommende Menschen ausspucken.

Ein dumpfes Lichterspiel aus 1000 Grautönen mit den letzten braunen Blättern an den Bäumen. Es ist still und schön. Vor unserem Block treffe ich die fesche Nachbarin aus dem untersten Stock, sie schaut mich mit ihren blauen Kugelaugen an und wünscht mir ein frohes Neujahr.

Ich Ihnen auch!

Es war der erste Tag 2021. Ich sah, dass es gut war. Kann fast nur besser werden. Sofern wir's zulassen.

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