Quergeschrieben

Jede neue Technologie schadet den Schwächsten – angeblich

TV
TVimago images/MITO
  • Drucken

Die „Fernsehkinder“ sind erwachsen geworden und wehren sich gegen den Vorwurf, Fernsehen „verblöde“. Oft geht es in der Debatte um Klassismus.

Die österreichische Bloggerin, Autorin und Unternehmerin Madeleine „Dariadaria“ Alizadeh hat sich einen Fernseher gekauft. Auf Instagram veröffentlichte sie ein Foto von ihrem Wohnzimmer. Das neue Gerät ist sehr groß. Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Dass Influencerinnen wie Alizadeh, der auf Instagram 314.000 User folgen, zeigen, wie sie ihre Wohnung einrichten, ist schließlich nichts Neues.

Doch für Alizadeh, Jahrgang 1989, ist es mehr als nur ein Fernseher. Als Kind einer Alleinerziehenden habe sie viel ferngesehen, nachmittags, wenn die Mutter arbeitete, schreibt sie in einem Post vergangenen Dienstag. Dafür habe sie sich lang geschämt, doch nun sei genug damit.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Quergeschrieben“

Hinter der Beurteilung, Technologie sei schlecht für Kinder, stecke Klassismus, also Diskriminierung gegenüber niedrigeren sozialen Klassen.
Das Thema neue Technologien und Kinder polarisiert. Nachdem die Bildschirme dank Lockdown, Distance-Learning und Home-Office selbst für die hartgesottensten Technologieverweigerer an Bedeutung gewonnen haben, ist es präsenter denn je. Wackelige wissenschaftliche Erkenntnisse vermischen sich in der Debatte mit Ideologie; schließlich hat jeder eine Meinung, wie Kinder am besten erzogen werden. Gewürzt wird mit einer kräftigen Prise Nostalgie – denn wer hört schon gern, dass an der eigenen Jugend etwas falsch war?

»In den meisten Bereichen unserer Gesellschaft wird das Bildungsbürgertum als „normal“ angesehen.
«

Anna Goldenberg

Die erste Generation der österreichischen „Fernsehkinder“ ist erwachsen und hat oft schon selbst Kinder. Hatten 1979 gerade einmal 44 Prozent der österreichischen Haushalte einen Farbfernseher, war 1989 der Anteil doppelt so hoch. Der Fernseher wurde vom Luxusgut zur günstigen Kinderbetreuung. Es ist diese Generation, zu der auch Alizadeh gehört, die sich gegen den Vorwurf, Fernsehen „verblöde“, wehrt. Dank Autoren wie Didier Eribon oder Édouard Louis in Frankreich, Christian Baron in Deutschland, aber auch Melisa Erkurt in Österreich erlebt die Klassenfrage eine Renaissance. In den sozialen Medien ist parallel dazu eine neue Dynamik entstanden, die hinterfragt, was als „Hochkultur“ oder „Trash“ bezeichnet wird – und thematisiert, wie das Milieu des Bildungsbürgertums (aus dem auch die Autorin stammt) in den meisten Bereichen unserer Gesellschaft als „normal“ betrachtet wird.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.