Sicherheitsplanung

Was lief schief beim Schutz des Kapitols?

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Sicherheitsexperten und Beamte vermuten schwere Fehler bei der Vorbereitung der Kapitolschutztruppe auf die angesagten Proteste - wobei bisweilen der Verdacht aufkommt, die Fehler seien mehr als nur fahrlässig geschehen.

Wie wurden Chaos und Gewalt im Kapitol, der Herzkammer der Demokratie der USA, trotz der dort in großer Zahl vorhandenen Wacheinheiten möglich? Sicherheitsexperten weisen nun auf katastrophale Fehler bei der Vorbereitung auf die angemeldeten Proteste von Trump-Fans hin, wobei es durchaus Indizien gebe, dass dabei manches nicht zufällig oder unabsichtlich passiert sein könnte. 

Grundsätzlich wird von einer der größten Sicherheitspannen in der jüngeren US-Geschichte gesprochen. Während die Bewachung von Großereignissen, etwa die Vereidigung eines neuen Präsidenten, von den zahlreichen Sicherheitsdiensten bis ins letzte Detail vorbereitet werde, habe es für die gestürmte Sitzung zu den Ergebnissen der Präsidentenwahl von Repräsentantenhaus und Senat kaum Planungen mit Blick auf mögliche Bedrohungen gegeben, beklagten Insider und Sicherheitsexperten schon einmal grundsätzlich.

Es gab genug Indizien

Dabei habe es aber seit geraumer Zeit Warnzeichen gegeben, dass beinharte Anhänger Trumps, angestachelt durch dessen Vorwürfe eines Wahlbetrugs, gewalttätig werden könnten. Trump hatte in zahllosen Tweets die Sitzung des Kongresses als letzte Chance dargestellt, den Wahlausgang noch zu ändern. In einem verräterischen Tweet hatte er überdies geschrieben, die Demonstration am 6. Jänner werde "wild".

In sozialen Medien hatte es über Wochen Drohungen mit und Warnungen vor Gewalt mit Blick auf die Sitzung gegeben. Auf Twitter fanden sich allein seit Jahresbeginn über 1400 Postings aus dem Umfeld von Anhängern der QAnon-Verschwörungstheorie, die sich auf Trumps Demo am 6. Jänner und Aufrufe zur Gewalt bezögen, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der US-Sicherheitsbehörden.

Die überwältigte Capitol Police

Der Kongress indes soll primär durch die U.S. Capitol Police geschützt werden, eine 1828 gegründete, heute rund 2000 Mann starke Polizeitruppe. Sie ist neben Schlagstöcken und Pfefferspray auch mit Faustfeuerwaffen (z.B. Pistolen vom Typ Glock), Pump Guns und Sturmgewehren bewaffnet. Die Truppe versuchte zunächst allein, sich gegen die Demonstranten zu stellen, die aufs Gelände drängten. Aus bis Donnerstagmorgen unklaren Gründen griffen andere Kräfte des Bundes stundenlang nicht ein, als der Kongress belagert wurde. Dieser liegt in unmittelbarer Nähe jenes Ortes, wo Trump kurz vor der Sitzung in einer Rede vor Anhängern diese zu einem "Gang zum Kapitol" aufgefordert hatte.

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Die Capitol Police habe allerdings schon im Vorfeld andere Sicherheitskräfte oder das Heimatschutzministerium nicht um Assistenz gebeten, sagte ein hoher Beamter. Und Verstärkungen durch die lokale Nationalgarde, eine militärische Einheit, wurden erst über eine Stunde, nachdem die ersten Barrikaden durchbrochen worden waren, mobilisiert.

Eigentlich sind die Mitglieder dieser Kongress-Polizei darauf trainiert, Angreifer und Demonstranten spätestens vor den Marmortreppen des Kapitols aufzuhalten, berichtet Terrance Gainer, einer der ehemaligen Chefs der Capitol Police. Doch sie wurden von den Massen überrannt. "Nachdem sie die Treppe verloren hatten, verloren sie auch Türen und Fenster", sagte er. Randalierer bahnten sich den Weg ins Gebäude. Dort konnten sie, wie auf Video-Aufnahmen zu sehen ist, frei durch Flure und Hallen schlendern und etwa ins Büro der Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, eindringen.

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Im Gegensatz dazu hatte die Trump-Regierung bei den Protesten gegen rassistisch motivierte Polizei-Brutalität im Sommer noch dafür gesorgt, dass Sicherheitskräfte des Bundes in massiven Formationen ausrückten.

Die Capitol Police wollte sich zunächst nicht zu den Vorgängen äußern - ebenso wenig wie das Präsidialamt zur äußerst fragwürdigen Rolle Trumps bei den Ausschreitungen.

„Das ist Terrorismus"

"Wir müssen dringend gründlich aufarbeiten, was falsch gelaufen ist", fordert Gainer. Abgeordnete machten bereits mangelnde Vorbereitungen für das Desaster verantwortlich. "Unter diesen Umständen haben die Beamten vor Ort ihre Arbeit so gut wie möglich erledigt, aber ganz offensichtlich gab es keine ausreichenden Planungen", beklagte etwa Vicente Gonzalez, ein Demokrat aus Texas.

"Das hätte nie passieren dürfen", sagte ein weiterer hoher Sicherheitsbeamter. "Wir haben alle vorher gewusst, wer nach Washington kommen wird." Neil Trugman, ehemaliges Mitglied der Capitol Police, sagte: "Das ist kein Protest mehr. Da ist eine Linie überschritten worden. Das ist Terrorismus."

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(APA/Reuters/red.)

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