Film

„Pieces of a Woman“: Eine Mutter kämpft um ihre Trauer

Benjamin Loeb / Netflix
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Im Familiendrama „Pieces of a Woman“ wird eine Paarbeziehung nach einem Schicksalsschlag auf eine harte Probe gestellt. Ein intensives, virtuoses Schauspielstück, das leider an Symbolsucht leidet. Zu sehen auf Netflix.

Es wird ernst. Das merkt man gleich. Woran? Vielleicht am unfertigen Brückenpylon, der sich im Anfangsbild vor einer grauen Skyline erhebt. Oder am angespannten Gebrüll des Vorarbeiters, der in der Eröffnungssequenz durch eine Baustelle hetzt, während die Kamera ebenso angespannt seinen Bewegungen folgt. Auf jeden Fall liegt etwas in der Luft.

Der Arbeiter (Shia LaBeouf) will zu seiner Frau (Vanessa Kirby, bekannt aus „The Crown“). Die beiden erwarten ein Kind. Kollegen im Büro beglückwünschen die Schwangere. Doch die Ästhetik ist gedämpft, wie von banger Erwartung ummantelt. Später, im trauten Heim, halten sich Vorfreude und Nervosität die Waage. Es soll eine Hausgeburt werden. Die Wehen setzen ein. Wo ist die Hebamme? Bei einer anderen Geburt. Sie vermittelt eine Stellvertreterin. Der Frau gefällt das nicht. Der Mann macht Witze, versucht zu beruhigen. Fruchtwasser fließt. Die Türglocke läutet. Wir sind mittendrin.

Achtung: Jetzt kommt der Spoiler. Wer ihn vermeiden will, sollte allerdings auch die Netflix-Kurzbeschreibung von „Pieces of a Woman“ nicht lesen. Genau wie die zugehörigen Schlagwörter: „Dark, Emotional“. Alsdann: Die Hausgeburt geht schief. Wie geahnt. Aber der Film kostet die Ahnung aus. Wir sollen das Gewicht der Ereignisse spüren. Das Drama baut darauf. Und zwingt uns in Echtzeit zur Teilnahme. Minutenlang. Die Kamera gleitet über die Gesichter. Der Vater, Sean, versucht hilflos, Fassung zu wahren. Die Hebamme macht empathisch ihre Arbeit. Die Mutter, Martha, schwankt zwischen Schmerz und rauschhafter Entrückung. Kirby stöhnt, schreit, schnauft, lacht, weint und windet sich: eine Tour de Force.

Am Ende ist das Baby tot. Ein Unfall ohne ersichtliche Ursache, ein Albtraum ohne Erwachen. Wie damit umgehen? Davon handelt „Pieces of a Woman“. Und macht periodische Zeitsprünge, um Trauer in ihrer Dauer zu fassen. Martha hat sie abgekappt und zugepfropft. Im Alltag lässt die junge Frau sich nichts anmerken, doch wir fühlen ihre Bitternis, wenn sie reglos verkündet, den Leichnam des Kindes der Wissenschaft spenden zu wollen.

Ihre Kälte und Entfremdung verstört. Weniger uns als Zuschauer: Dafür bleibt der Film zu nah an ihr dran, dafür spielt Kirby zu differenziert. Aber Marthas familiär sehr verbandeltes Umfeld. Die verhinderte Oma (stark: Ellen Burstyn) will Gerechtigkeit, sprich: eine Verurteilung der Hebamme. Und versteht nicht, warum die Tochter dieses Bedürfnis nicht teilt. Sean weiß hingegen nicht, wohin mit seinem Leid und seiner Wut. Sein Alkoholismus, seine aufgestaute aggressive Männlichkeit, all das bricht sich neuerlich Bahn. Dass er keinen Weg zurück zu seiner Frau findet, ist sein Verhängnis.

Wie schreibt man den Kindernamen?

In der Gegenüberstellung konträrer Bewältigungsstrategien liegt die größte Stärke des Dramas von Kornél Mundruczó (Regie) und Kata Wéber (Drehbuch), das nach seiner Venedig-Premiere (und einer Auszeichnung Kirbys als beste Darstellerin) von Netflix erworben wurde. Es fußt auf einer vergleichbaren Verlusterfahrung der beiden Lebens- und Kreativpartner, und die persönliche Grundierung verleiht dem Film emotionale Dringlichkeit, vor allem in Momenten des Missverstehens und kommunikativen Scheiterns. Beim verkrampften Versuch, Entfremdungsfrust mit Sex abzubauen. Beim Streit um die korrekte Schreibweise des Kindernamens auf dem Grabstein. Bei einem missglückten Familientreff, der von harmlosem Geplänkel in einen tiefenpsychologischen Schlagabtausch schlittert. Hier scheinen die Theaterwurzeln der Filmemacher durch.

Schade nur, dass Wéber und Mundruczó sich bemüßigt fühlen, ihre Geschichte zur Universalparabel aufzublasen. Schon in ihrem letzten gemeinsamen Film „Jupiter's Moon“ (2017), in dem ein Flüchtling in Ungarn zum Superhelden-Messias mutierte, führte das zu eher schwerfälligen Ergebnissen. Auch „Pieces of a Woman“ hantiert viel mit unverblümter Symbolik. Manchmal findet der Film starke Bilder für die Phantomschmerzen seiner Figuren. Etwa wenn Marthas Brust beim Einkaufen unvermittelt Milchflecken in ihren Pullover macht. Aber dass die Trauernde dabei von einem kleinen Mädchen beobachtet wird, dass sie ständig kompensatorisch in Äpfel beißt und irgendwann deren Samen pflanzt, dass der Bau der Brücke, die wir anfangs sehen, im Laufe der Traumaverarbeitung immer weiter fortschreitet, begleitet vom Wandel der Jahreszeiten und Howard Shores sattem Soundtrack, all das ist doch sehr dick aufgetragen.

Was besonders den moralischen Verlauf der Erzählung (wer hat Schuld an der Tragödie?) enorm vorhersehbar macht – bis zum pathetischen Finale im Gerichtssaal. Fazit? Gott gibt und Gott nimmt. Der Mensch duldet und baut wieder auf. (Vielleicht war es diese vage spirituelle Komponente, die Martin Scorsese dazu bewegte, seinen Namen als Produzent anzuhängen?) Frauen überwinden ihre Differenzen, Männer driften zerknirscht aus dem Bild. Ob man das feministisch findet oder plakativ: Hier wird ein Tabuthema zur Debatte gestellt – nicht mit der Diskurskanone, sondern mittels einer sorgfältig gezeichneten Charakterstudie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2021)

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