S-Klasse

Mercedes S-Klasse: Ein Landauer verirrt sich in die Zukunft

Start für Nummer Sieben (Baureihe 223): Seit 1972 tragen Oberklassenlimousinen von Mercedes das Signet S-Klasse, ursprünglich für "Sonderklasse".
Start für Nummer Sieben (Baureihe 223): Seit 1972 tragen Oberklassenlimousinen von Mercedes das Signet S-Klasse, ursprünglich für "Sonderklasse".skarwan.com
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Zwischen einem guten, womöglich gar „weltbesten“ Auto und einem „Smartphone auf Rädern“ tritt die siebte Generation der S-Klasse an. Punkten oder begeistern kann der Mercedes aber vor allem mit Tugenden der alten Schule.

Vor wenigen Jahren machte die Meldung die Runde, wonach Teslas Model S in den Verkäufen die S-Klasse von Mercedes überflügelt habe, jedenfalls in bestimmten Märkten wie Kalifornien, was von Aficionados der E-Mobilität wie die Ankunft des Erlösers gefeiert wurde, als Triumph des Heil bringenden Neuen über das verkommene Alte. Nur dass es sich um einen Irrtum handelte.

Opulenz, aber auch beeindruckende Fahrfreuden auf knapp 5,3 Metern Länge: S 500 in Langversion.
Opulenz, aber auch beeindruckende Fahrfreuden auf knapp 5,3 Metern Länge: S 500 in Langversion.skarwan.com


Die Fahrzeuge sind tatsächlich so gut vergleichbar wie, um die Welt der Kutschen zu bemühen, eine Kalesche mit einem Landauer, haben miteinander also etwa so viel zu tun wie Elektroautos mit Klimaschutz (aua!), auch wenn sich Tesla für die Luftfederung des Model S bei der Airmatic von Mercedes bediente.

Die S-Klasse indes schwebt in ihren Sphären weiterhin recht einsam umher, allenfalls zeitweise, in Abhängigkeit von Produktzyklen, in der Gesellschaft des BMW 7er und Audi A8 (technisch auch nicht hintennach, aber ohne den Stand des Originals).

Wie relevant das Fahrzeugkonzept der „Sonderklasse“ (daher das S) in Komfort, Sicherheit und Standesbewusstsein in siebter Auflage bleiben wird, ist schwer vorherzusagen, aber es deutet wenig darauf hin, dass es die reichen Menschen (oder Regierungen und Unternehmen) auf der Welt künftig kleiner geben wollten. Im Gegenteil: Die Konkurrenz, die das Modell auf seinem größten Einzelmarkt – China – am ehesten fürchten muss, ist die fett gepimpte Version als Maybach S aus gleichem Haus, gern dreimal, viermal so teuer.

Umgekehrt wird es aber auch die noch heuer kommende Elektroversion EQS schwer haben, Tesla-Jünger zu konvertieren. Mercedes ist in den alten Disziplinen des Autobauens eindeutig besser als in den neuen, die mehr um das „Smartphone auf Rädern“ kreisen. Das soll beim formal ältesten Autobauer der Welt nicht überraschen, ist bizarrerweise aber genau das, was ihm auf den Kapitalmärkten zunehmend das Leben schwer macht. Gute Autos bauen? Das Schulterklopfen von gestern. Over-the-Air-Updates? Toll, hat der Daimler halt jetzt auch.

„Dritter Ort“ zwischen Arbeit und Zuhause: S-Interieur.
„Dritter Ort“ zwischen Arbeit und Zuhause: S-Interieur. skarwan.com

Dabei ist es wirklich beeindruckend, wie weit die Kunst des quasi Analogen gediehen ist. In Fahrt ist die neue S-Klasse ein ausnehmend erquickender Ort. Zunächst die Handlichkeit, immer schon ein Merkmal der Baureihe, trotz opulenter Außenmaße (in Langversion, 90 Prozent der Verkäufe, mit knapp 5,3 Metern Länge). Als unverzichtbares Extra hilft erstmals eine Hinterachslenkung mit bis zu zehn Grad Einschlag (wiewohl nichts Neues bei 7er und A8). Da verlieren auch Parkhäuser ihren Schrecken, wie einst schon im „Panzer“-Vorgänger W140, und erst recht entbietet eine schön gewundene Landstraße aufrichtiges Fahrvergnügen, trotz widriger, winterlicher Bedingungen und Nachtfahrt.

Aber was heißt schon Nacht bei dieser Scheinwerfer-Batterie, mit drei lichtstarken LEDs auf jeder Seite, zusammen mit einer Auflösung von 2,6 Mio. Pixel: Punktgenau und trennscharf wird die Welt voraus taghell erleuchtet oder, wo erforderlich, im Schatten belassen. Ist eine Baustelle voraus, wird ein Bagger-Symbol auf die Fahrbahn projiziert. Die Richtungspfeile der Navigation wiederum sind augmentiert, werden also nur vom Fahrer gesehen. Der 3D-Effekt der digitalen Instrumententafel - das kommt unterschiedlich gut an. Wir fanden es ein witziges „Eye-candy“, anderen wurde augenblicklich schwindlig davon.

Praktisches Detail am Rande: Der Kofferraum wuchs um 30 Liter auf nunmehr 550 Liter.
Praktisches Detail am Rande: Der Kofferraum wuchs um 30 Liter auf nunmehr 550 Liter. skarwan.com

Aber weiter auf unserer nächtlichen Landstraße. Das Verkrallen in die Fahrbahn besorgen Allrad und ein aktives Fahrwerk, das die Fahrbahnoberfläche scannt und die Federung justiert (1000 Mal pro Sekunde, lesen wir). Je zügiger gefahren, desto mehr ähnelt die Fuhre einem fliegenden Teppich, der per Gedanken lenkt. Am wenigsten toll, weil irritierend hörbar, ist die Fahrt im Ortsgebiet auf schlechter Straße. Dennoch, für die Erläuterung des Jargon-Kürzels NVH (Noise, Vibrations, Harshness) gibt es heute kaum ein weiter gediehenes Demonstrationsobjekt.


Was S 500 heißt, ist kein V8, aber ein faires Imitat davon. Zuwege bringen das ein Reihensechszylinder, sein per Hochvolt auf Drehzahl gebrachter Turbolader und ein kräftiger E-Motor: Schub und Drehfreude wie im Sportwagen bei um die zehn Liter im Schnitt. Ein Achtzylinder wird später folgen, für gewisse Käuferkreise wird gar nichts anderes in Frage kommen, so wacker sich der Sechszylinder auch schlägt.


Von einer „künstlichen Intelligenz“ des Bordsystems bemerkten wir nichts, wiewohl Spracheingaben akkurat verarbeitet werden.
Der ganze Wellness-Schabernack hingegen, den die Entwickler ausgetüftelt haben – unterhaltsam, dabei gibt es kaum ein Auto, in dem man derlei weniger brauchen würde, weil man eben nicht müde, abgespannt, gar gerädert ist, egal wie lang die Fahrt sein mag. Eindeutig ein Punkt für die alte Schule.

Mercedes-Benz S 500 4Matic

Maße

L/B/H: 5289/1954/1503 mm. Radstand: 3216 mm. Leergewicht ab 2015 kg. Kofferraum: 550 Liter.

Motor

R6-Zylinder-Otto-Turbo, 2999 ccm. Max. 320 kW (435 PS) bei 5900/min., max. 520 Nm. E-Motor im Getriebe mit max. 16 kW und 250 Nm.
0–100 km/h in 4,9 sec. Vmax 250 km/h. Allradantrieb. Neunstufen-Automatik.

Testverbrauch: 10,6 l/100 km.

Preis

ab 141.690 Euro (alle Daten Langversion).

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