Covid-19

Kinderärzte weiter für Prävention statt Schulschließungen

Unter Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen sollten Schulen öffnen, so der Appell.
Unter Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen sollten Schulen öffnen, so der Appell.Imago Images
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Es gebe keine Belege dafür, dass Kinder stärker als Erwachsene zum Infektionsgeschehen beitragen, sagt Volker Strenger von der Grazer Uniklinik für Kinder und Jugendheilkunde. „Es wäre jedoch bedenklich, wenn die Bildung einer ganzen Generation leidet, nur um die Kontakte der Elterngeneration zu reduzieren."

Mitte November war in Österreich der Anteil an Corona-Infizierten unter Schülern bis 14 Jahre ähnlich hoch wie in der Gesamtbevölkerung, zeigt die zweite Sars-CoV-2-Monitoringstudie. Gleichzeitig ist mit der britischen B.1.1.7-Mutation eine Virusvariante aufgetaucht, die vermehrt Kinder treffen könnte. Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) plädiert dennoch weiter für Prävention statt Schulschließungen und verweist auf internationale Studien.

Die mehrfach berichtete Theorie, wonach Kinder und Jugendliche von der britischen Virusvariante vermehrt betroffen seien, sei bisher noch nicht belegt, betont Volker Strenger von der Grazer Uni-Klinik für Kinder und Jugendheilkunde, der auch die Arbeitsgruppe "Infektiologie" der ÖGKJ leitet. "Weitere Analysen sind notwendig, bevor eine seriöse Aussage über die Bedeutung dieser Virus-Variante für bestimmte Altersgruppen getroffen werden kann", so Strenger. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen unter den Sars-CoV-2-Infizierten sei zwar in Großbritannien zuletzt gestiegen, laut Gesundheitsbehörden seien davon allerdings sowohl Infektionen mit der neuen als auch der ursprünglichen Virus-Variante betroffen.

Er gebe auch - anders als bisher spekuliert wurde - keine Belege dafür, dass Kinder stärker als Erwachsene zum Infektionsgeschehen beitragen: Die Zahl unerkannt Infizierter sei bei Kindern nicht höher als unter Erwachsenen. Die jüngste Schul-Gurgeltest-Studie an heimischen Schulen habe keinen statistisch signifikanten Unterschied beim Anteil der Infizierten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gezeigt und große internationale Studien würden teils auch eine deutlich geringere Zahl unerkannter Infektionen bei Kinder nahelegen. Laut einer in JAMA-Pediatrics veröffentlichten Meta-Analyse von 32 Studien sei das Risiko für Kinder, sich anzustecken, etwa nur halb so groß wie für Erwachsene.

Kinder zeigen seltener Symptome

Laut Strenger stimmt auch weiterhin der Befund, dass Kinder nach einer Infektion mit dem Corona-Virus seltener Symptome zeigen als Erwachsene. Das ist insofern relevant, weil mehrere aktuelle Studien zeigen würden, dass - entgegen früherer Annahmen - asymptomatische Personen das Virus deutlich seltener weitergeben. Sie sind demnach bis zu 25-fach weniger ansteckend als symptomatisch Erkrankte.

Symptomatische Erkrankungen unter Kindern fallen zumeist mild aus und auch im Falle von Symptomen seien Kinder als Infektionsquelle weniger relevant, so Strenger mit Verweis auf eine große indische Studie mit einer halben Million untersuchter Kontaktpersonen. Laut dieser Untersuchung wurden 92,3 Prozent der infizierten Kontaktpersonen von Erwachsenen angesteckt, aber nur 7,7 Prozent von Kindern.

Bildung einer ganzen Generation leiden lassen?

Wie sich Schulschließungen auf die Ansteckungszahlen unter Kindern und Jugendlichen bzw. der Gesamtbevölkerung auswirken, sei nicht seriös zu beantworten, so Strenger. Immerhin sei die Umstellung auf Fernunterricht auch international in zeitlichem Zusammenhang mit anderen Maßnahmen passiert. Selbst die Autoren von Modellierungsstudien würden aber infrage stellen, ob die errechneten Effekte von Schulschließungen nicht eher darauf zurückzuführen seien, dass die Eltern zur Kinderbetreuung daheimbleiben müssen. "Es wäre jedoch bedenklich, wenn die Bildung einer ganzen Generation leidet, nur um die Kontakte der Elterngeneration zu reduzieren", so Strenger. Dazu komme, dass anders als im ersten Lockdown Eltern diesmal weniger zuhause bleiben können und Kinder damit allein gelassen, in die Schulbetreuung geschickt oder doch von der Großelterngeneration betreut würden.

Der Schulbetrieb bietet für Strenger unterdessen den Vorteil, dass dort Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen kontrolliert und eventuell intensiviert werden können, während sich Kinder und vor allem Jugendliche bei zunehmender Pandemie-Müdigkeit stattdessen im privaten Bereich treffen würden - und zwar ohne Einhaltung von Schutzmaßnahmen.

In den ersten Monaten der Pandemie habe es zwar ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen relevante Ausbrüche an Schulen gegeben. Unter Einhaltung von Maßnahmen (etwa keine Durchmischung von Klassen, Abstandhalten, Maskentragen, Lüften etc.) würden Übertragungen innerhalb der Einrichtungen allerdings "nur in geringem Ausmaß" beobachtet.

Gleichzeitig seien Kinder von den pandemiebedingten Maßnahmen extrem betroffen. Außerhalb von Gastronomie/Hotellerie, Kultur, Handel und einigen anderen Bereichen laufe das Berufsleben der Erwachsenen großteils unter Einhaltung entsprechender Maßnahmen weiter. "Warum sollten dann unter all diesen oben genannten Aspekten gerade Schulen langfristig komplett geschlossen gehalten werden?", fragt Strenger - vor allem, wenn ein Ende der zweiten Welle frühestens in einigen Monaten zu erwarten sei.

(APA)

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