Kanzler Sebastian Kurz hat seinen Nachfolger für Arbeitsministerin Christine Aschbacher gewählt und konnte IHS-Chef Martin Kocher für das Amt gewinnen. Ihm steht die Bewältigung der größten Arbeitsmarktkrise seit dem Krieg bevor. Die Familien- und Jugendagenden wandern ins Bundeskanzleramt zu Susanne Raab.
Nach schwerwiegenden Plagiatsvorwürfen warf ÖVP-Arbeitsministerin Christine Aschbacher am Samstag das Handtuch - keine 24 Stunden später wurde bereits ein Nachfolger gefunden: Mit IHS-Chef Martin Kocher kommt ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte in das Regierungsteam.
Kocher ist gebürtiger Salzburger, studierter Ökonom und Hochschullehrer. Er ist seit 2017 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien, unterrichtet an der Universität Göteborg, der Queensland University of Technology im australischen Brisbane. Seit 1. September 2016 leitet er außerdem das Institut für Höhere Studien (IHS). 2020 wurde Kocher als Nachfolger von Gottfried Haber zum Präsidenten des Fiskalrats bestellt. Er ist außerdem einer der aktivesten Forscher auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung in Deutschland.
ÖVP griff auf Expertise zurück
Die ÖVP bediente sich seiner Expertise in der Krise mehrfach. Zuletzt beriet er die ÖVP Niederösterreich in Dingen Konjunkturprogramm und wirtschaftliche Maßnahmen der Pandemie. Er war als Sprecher bei der Regierungsklausur und hinterließ bei allen Beteiligten einen äußerst positiven Eindruck.
Und so wird auch die Empfehlung Niederösterreichs mitgespielt haben, dass Kanzler Sebastian Kurz Kocher nun als neuen Minister wählt. Eigentlich hätten die Steirer nach ÖVP-Denke ein Recht gehabt, den Posten Aschbachers nachzubesetzen. Immerhin ist sie Steirerin. Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl wäre eine favorisierte Wahl gewesen. Sie ist auch Kurz' Stellvertreterin als Parteichef der ÖVP. Kurz hatte sich dann dem Vernehmen nach doch für einen bisher unparteiischen Experten entschieden.
„Keine normalen Zeiten“
„Ich freue mich, dass ich mit Martin Kocher einen zusätzlichen Topexperten für unser Team gewinnen konnte“, so Kurz bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz mit Kocher am Sonntag. Dieser gab an, dass die Anfrage, auf die Regierungsbank zu wechseln, „sehr kurzfristig“ - nämlich am späten Samstagabend - gekommen sein. Er habe kurz danach zugesagt. Es seien aktuell „keine normalen Zeiten“ - daher sei es wichtig, „Verantwortung zu übernehmen“. „Wir sind in einer sehr tiefen Wirtschaftskrise“, umso wichtiger sei es, nun „Expertise einbringen zu können“, auch, wenn er seinen Job beim IHS sehr genossen habe.
Drei Punkte führte Kocher als Prioritäten an. Einerseits die akute Bewältigung der Pandemie, was mit der Kurzarbeit bislang „gut gelungen“ sei. Er rechne damit, dass man bis zum Sommer in der Akutphase bleiben werde. Andererseits „Beschäftigung danach“: Prognostiziert sei eine höhere Arbeitslosigkeit als 2019 selbst noch 2024. Sein Ziel sei es, einen besseren Weg zu mehr Beschäftigung zu finden. Außerdem wolle er sich auf die Zukunft der Arbeit fokussieren: „Digitalisierung, Strukturwandel, Fachkräftemangel.“ Die Coronakrise habe hier bereits bestehende Entwicklungen beschleunigt.
Zur Kurzarbeit sagte Kocher, dass das derzeitige Modell - so durch eine rasche Impfung ein Ende der Krise in Aussicht sei - noch um einige Monate verlängert werden könnte. Wenn die Pandemie länger dauern werde, „muss man den Kurs ändern“: Die Kurzarbeit sei kein Modell auf Jahre.
Familie und Jugend wandern zu Ministerin Raab
Dass er als „unabhängiger Experte“ in die türkis-grüne Regierung komme, sei kein Selbstverständnis, sagte Kocher, der sich auch bei der ÖVP-Parteiführung für seine Berufung bedankte.
Auch freue er sich auf die Zusammenarbeit mit dem Regierungspartner, den Grünen, und mit den Sozialpartnern. „Es gibt jetzt keine Einarbeitungszeit, wir werden heute Nachmittag losstarten“, erklärte der neue Minister, der am Montagnachmittag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt werden soll. „Ich bin voll motiviert.“
Die Familien- und Jugendagenden, die zuvor bei Aschbacher angesiedelt gewesen waren, sollen mit dem Personalwechsel nun Kurz zufolge ins Kanzleramt wandern. Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP), die bislang für Integration zuständig war, soll übernehmen.