Drei Irrtümer über die Einwanderung

Die Politik begründet die Einwanderung damit, dass sie für das Wirtschaftswachstum, für die Deckung des Arbeitskräftebedarfs einzelner Sektoren des Arbeitsmarktes und zur Aufrechterhaltung des Sozialsystems, besonders der Pensionen, notwendig wäre.

Das Wirtschaftswachstum, wenn es als Zuwachs des Bruttosozialprodukts ausgedrückt wird, könnte zwar durch die Einwanderung erhöht werden. Für den Wohlstand der Bevölkerung ist aber nicht dieses Wachstum entscheidend, sondern das Einkommen oder noch besser, der Konsum pro Kopf. Dieses Einkommen (oder Konsum) pro Kopf muss bei einer Zuwanderung nicht zunehmen, vor allem, wenn die Zuwanderer wegen geringer Qualifikation und/oder Inanspruchnahme von Sozialleistungen das Sozialprodukt wenig steigern. Selbst wenn ohne Zuwanderung die Bevölkerung abnimmt, kann der Wohlstand (pro Kopf) weiter zunehmen.

Verdrängungeseffekt am Arbeitsmarkt

Dass es in einzelnen Bereichen des Arbeitsmarktes, z.B. im Tourismus, zu wenige inländische Arbeitskräfte gibt, ist teilweise eine Folge der vergangenen Zuwanderung. Sie hat sich auf die Bereiche konzentriert, in denen keine höhere Qualifikation und Sprachkenntnisse notwendig sind, wie Tourismus, Bauwirtschaft und Pflege. In diesen Bereichen wurde durch den Zustrom von Arbeitskräften, die auch zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen (z.B. Arbeitszeit) bereit waren, die Löhne und Arbeitsbedingungen für einheimische Arbeitskräfte uninteressant. Sie wanderten in andere Sektoren ab oder zogen die Arbeitslosigkeit den schlechten Arbeitsbedingungen vor.

In anderen Sektoren, in denen zu wenige inländische Arbeitskräfte vorhanden sind, wie z.B. Facharbeiter, Ingenieure und Naturwissenschaftler, sind Mängel im Ausbildungssystem oder zu geringe Lohnflexibilität verantwortlich. Würde man in jedem Sektor des Arbeitsmarktes, auf dem solche ungedeckte Nachfrage nach Arbeitskräften existiert, durch Einwanderung schließen wollen, würde es so gehen wie in den 60er-Jahren, als Anwerbekommissionen in die Türkei fuhren, um Arbeitskräfte für die Textilindustrie zu holen, die nicht mehr die hohen inländischen Löhne zahlen konnte. Die Textilindustrie, z.B. in Telfs (Tirol), konnte aber auch mit den billigen Löhnen den Strukturwandel nicht überleben, dafür gibt es dort jetzt ein Minarett.

Für die Aufrechterhaltung des Sozial- und Pensionssystems wirkt eine Einwanderung nur sehr kurzfristig. Denn nur wenn Arbeitskräfte einwandern, die Sozialbeiträge bezahlen und das Sozialsystem nicht in Anspruch nehmen, kann es vorübergehend entlastet werden. Danach nehmen aber auch diese Einwanderer das Pensionssystem in Anspruch, sodass nur eine dauernd steigende Einwanderung den Zusammenbruch hinausschieben könnte. Das Pensionssystem ist bei einer laufenden Verlängerung der Lebenszeit, dem niedrigen Pensionsantrittsalter und der heutigen Pensions- und Beitragshöhe nicht längerfristig aufrechtzuerhalten. Die einfachste Rettung des Systems ist ein späterer Pensionsantritt, der aber derzeit politisch noch nicht durchzusetzen ist.

Auf längere Frist wird eine größere Einwanderung schließlich das gesamte Sozialsystem gefährden. Das europäische System beruht auf der Solidarität. Wie eine große empirische Untersuchung des Harvard-Ökonomen Alberto Alesina gezeigt hat, ist das Sozialsystem in den USA gegenüber den europäischen Systemen deshalb unterentwickelt, weil in den USA die Solidarität gegenüber den ethnischen Minderheiten, den Schwarzen, Hispanics etc., fehlt. Entstehen durch die Einwanderung in Europa immer mehr solche Minderheiten, dann wird – wie jetzt schon in Österreich zu erkennen ist – die Solidarität für die Erhaltung des Sozialsystems nicht mehr ausreichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2010)

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