Zehn Krisen, die 2020 in Vergessenheit geraten sind

2020 war das Jahr der Coronavirus-Pandemie. Eine globale Krise, die viele regionale Katastrophen und Nöte überdeckte. In Zusammenarbeit mit dem Medienbeobachtungsdienst Meltwater analysierte die Hilfsorganisation Care International humanitäre Krisen, die im Jahr 2020 die geringste Medienaufmerksamkeit erhielten. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. September 2020 wurden mehr als 1,2 Millionen Online-Artikel in fünf Sprachen ausgewertet. Ausgangspunkt des Rankings sind jene Länder, in denen mindestens eine Million Menschen von Konflikten oder Naturkatastrophen betroffen waren.
Das Ergebnis war eine Liste von 45 Krisen (im Bild ein Care-Hilfsprojekt in Sambia), die dann einer Medienanalyse unterzogen wurde und nach der Anzahl der zum Thema publizierten Online-Artikel geordnet wurde. Und das sind die zehn Krisen mit der geringsten Aufmerksamkeit:

Im südlichen Afrika liegt Sambia – ein großes, friedliches Land, das für seine Kupferminen und landschaftliche Schönheit bekannt ist. Gleichzeitig gehört Sambia aber auch zu jenen Ländern, die die Hauptlast der globalen Klimakrise tragen. Insgesamt 10,1 Millionen Menschen, das sind etwa 56 Prozent der sambischen Bevölkerung, benötigen aufgrund von Dürren und Überschwemmungen humanitäre Hilfe.
Die Bevölkerung ist von akutem Hunger und Unterernährung bedroht. Im Juli 2020 benötigten 2,6 Millionen Menschen dringend Nahrungsmittelhilfe. Aufeinanderfolgende Dürreperioden, Heuschreckenplagen und Überschwemmungen führten dazu, dass landwirtschaftliche Erträge ausblieben. Gleichzeitig hatten die Menschen mit dem Ausbruch von Viehseuchen zu kämpfen und mussten auch wegen der Bewegungseinschränkungen durch Covid-19 wirtschaftliche Einbußen hinnehmen.
2143 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Sambia.

Im Jahr 2020 waren seine Einwohner zusätzlich zu den Folgen der globalen Pandemie mit Überschwemmungen, Erdrutschen und kleineren Erdbeben konfrontiert. Wegen des rauen Territoriums, das den Ausbau einer Infrastruktur und damit den Transport erschwert, hat das Land bis heute mit Entwicklungsdefiziten zu kämpfen.
Die UNO schätzt, dass im Jahr 2020 etwa 4,6 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, humanitäre Hilfe benötigen. Nur 46 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. In einigen Teilen des Landes leiden die Menschen unter Mangelernährung.
2014 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Papua-Neuguinea.

Das westafrikanische Land Mali befindet sich in einer Krise. Schon vor der Pandemie hatten Jahre des Konflikts, der Unsicherheit und schlechter Regierungsführung gepaart mit extremen Wetterereignissen und Naturkatastrophen in diesem riesigen Land im Sahel Spuren hinterlassen. Vor acht Jahren begann im Norden Malis ein Aufstand, der sich inzwischen auf das Zentrum des Landes ausgedehnt hat.
Auch die Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger geraten zunehmend unter Druck. Gewalt, Naturkatastrophen und weit verbreitete Armut haben dazu geführt, dass in diesen drei Ländern eine Rekordzahl von 13,4 Millionen Menschen dringend humanitäre Hilfe benötigt. Rund 7,4 Millionen von ihnen droht der Hungertod, über 1,6 Millionen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Durch die Pandemie hat sich die humanitäre Lage noch weiter zugespitzt.
1816 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Mali.

Im Jahr 2020 kämpfte das Land gegen Covid-19, eine Heuschreckenplage und ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Überschwemmungen in den Städten. Zum ersten Mal seit sechs Jahren war die Regierung gezwungen, Weizen zu importieren. Doch als der Monsunregen im August weite Teile des Landes überflutete, darunter Karatschi, die bevölkerungsreichste Stadt und das Wirtschaftszentrum Pakistans, wurden Ernten und Existenzgrundlagen erneut zerstört. Über 400 Menschen kamen durch die Überschwemmungen ums Leben, rund 68.000 Menschen verloren ihr Zuhause.
Eine gemeinsame Analyse des Welternährungsprogramms (WFP) und der Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO), die während der Pandemie durchgeführt wurde, ergab, dass 25 Prozent der pakistanischen Haushalte – das sind rund 49 Millionen Menschen – von Ernährungsunsicherheit betroffen sind.
Gleichzeitig leben fast 1,4 Millionen afghanische Geflüchtete im Land, was den Druck auf die bereits überlastete öffentliche Infrastruktur, etwa Schulen und Krankenhäuser, noch erhöht.
1515 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Pakistan.

In dem kleinen Land im südlichen Afrika wächst die Besorgnis über die steigende Zahl der Suizide. Naturkatastrophen, Schädlingsbefall, extreme Armut und COVID-19 setzen die Bevölkerung unter Druck. Nach Berichten der malawischen Polizei ist die Selbstmordrate im Jahr 2020 stark angestiegen (um 57 Prozent). Die Uno schätzt, dass 8,3 Millionen Malawier in Folge der Covid-Pandemie humanitäre Hilfe benötigen.
In diesem Land, das zu den am dichtesten besiedelten Afrikas gehört, leben sieben von zehn Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Da etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre alt ist, hat Malawi mit nur 264 Euro auch eines der niedrigsten Pro-Kopf- Bruttosozialeinkommen der Welt. Seine Wirtschaft, die stark von der regenabhängigen Landwirtschaft bestimmt wird, ist extrem anfällig. Im März 2019 überschwemmte Zyklon "Idai" weite Teile des Ackerlandes in Malawi, noch immer kämpfen die Menschen in betroffenen Gebieten mit den Folgen.
1473 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Malawi.

Jedes Jahr sind Tausende Menschen in Madagaskar von Naturkatastrophen und Missernten betroffen, doch über ihre Situation wird in den internationalen Medien nur selten berichtet. Drei Viertel der Bevölkerung, rund 20 Millionen Menschen, leben unter der Armutsgrenze.
Das Land ist auch stark vom Klimawandel betroffen. Es leidet unter wiederkehrenden, lang anhaltenden Dürreperioden und rund 1,5 Zyklonen pro Jahr – der höchsten Rate in Afrika. Schätzungsweise ein Fünftel der Bevölkerung – rund fünf Millionen Menschen – sind direkt davon betroffen. Darüber hinaus wird Madagaskar aufgrund seiner niedrigen Impfraten und der schlechten sanitären und hygienischen Verhältnisse regelmäßig von Epidemien heimgesucht. Malaria sowie Beulen- und Lungenpest sind im Land weit verbreitet
1464 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Madagaskar.

Schon vor Covid-19 schätzten die UN, dass 3,4 Millionen Menschen in der Region Donbas im Jahr 2020 humanitäre Hilfe benötigen würden. Die Covid-19-Pandemie hat die Herausforderungen für die betroffene Bevölkerung nur noch vergrößert.
Besonders schlimm ist die Lage entlang der "Kontaktlinie", die das von der ukrainischen Regierung kontrollierte Land von den von Separatisten verwalteten Gebieten trennt. Trotz wiederholter Waffenstillstandsvereinbarungen wird zivile Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung häufig beschädigt. Die mehr als 420 Kilometer lange ‚Kontaktlinie‘ – das entspricht der Länge der deutsch-französischen Grenze – ist eines der am stärksten mit Minen verseuchten Gebiete der Welt. Die Zivilbevölkerung bleibt in diesem Konflikt ohne Schutz und Versorgung zurück.
702 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in der Ukraine.

2020 war ein Meilenstein für die Zentralafrikanische Republik (ZAR): 60 Jahre Unabhängigkeit. Das war jedoch kaum ein Grund zum Feiern. Das dünn besiedelte Land mit 4,9 Millionen Menschen befindet sich nach wie vor in einer der größten und schlimmsten humanitären Krisen der Welt.
Trotz bedeutender Mineralvorkommen sowie fruchtbaren Ackerlandes steht die Republik auf dem Human Development Index 2019 an vorletzter Stelle. Vor Covid-19 lebten mehr als 71 Prozent der Bevölkerung unter der internationalen Armutsgrenze von umgerechnet 1,60 Euro pro Tag. Im Land fehlt es an grundlegender Versorgung, und in vielen Gebieten sind die Menschen vollständig von humanitärer Hilfe abhängig.
Die UNO warnt, dass im Jahr 2021 2,8 Millionen Zentralafrikaner, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, humanitäre Hilfe und Schutz benötigen werden.
521 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in der Zentralafrikanischen Republik.

Seit April 2020 haben Tausende von Guatemalteken im Land begonnen, weiße Fahnen in den Straßen und aus ihren Fenstern zu hissen, um zu zeigen, dass sie Hunger leiden. Für die 10 Millionen Menschen im Land, die unterhalb der Armutsgrenze leben, hat Covid-19 eine ernste Nahrungsmittelkrise noch verschlimmert.
Als die Pandemie ausbrach, schätzte man, dass etwa 3,3 Millionen Menschen von einer Gesamtbevölkerung von 14,9 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen waren. Chronische Armut und mehrere aufeinander folgende Dürrejahre verschärften die Krise noch mehr.
542 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Guatemala.

Im Jahr 2020 haben Erdrutsche und Überschwemmungen, die durch sintflutartige Regenfälle verursacht wurden, die Lebensgrundlagen der ärmsten Menschen in Burundi zerstört und zu intensivem Hunger geführt. Im Dezember 2020 benötigten über 2,3 Millionen Burundier humanitäre Hilfe.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) geht davon aus, dass im Jahr 2020 mindestens 50.000 burundische Geflüchtete in ihre Heimat zurückkehren. Doch die fünftärmste Nation der Welt hat es schwer, Rückkehrer aufzunehmen: Burundi ist eines der am dichtesten besiedelten Länder im subsaharischen Afrika. Als ressourcenarmes Land mit einem unterentwickelten Fertigungssektor ist Burundis Wirtschaft überwiegend landwirtschaftlich geprägt
429 Artikel berichteten dem Care-Bericht zufolge über die Krise in Burundi.

„Wir sehen uns mit deutlich mehr Krisen und Katastrophen konfrontiert“, sagt Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin von Care Österreich. „Die Vereinten Nationen schätzen, dass in diesem Jahr rund 235 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen werden. Die Auswirkungen von COVID-19 in Verbindung mit dem fortschreitenden Klimawandel haben diese Zahl um fast vierzig Prozent gesteigert. Das ist der höchste Anstieg, der jemals stattgefunden hast. Es ist ein historisches Ausmaß menschlichen Leids.“
>> Den gesamten Bericht "Suffering in Silence" können Sie hier nachlesen.
Im Vergleich zur Zahl der Online-Artikel über die beschriebenen humanitären Krisen zählte Care übrigens:
334.000 Artikel über den Launch der PlayStation
50.300 Artikel über den Eurovision Song Contest
39.900 Artikel über Kanye Wests Kandidatur als US-Präsident