Gastkommentar

Ein Plädoyer für die freie Lehre

Universität Wien
Universität WienDie Presse/Clemens Fabry
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Die Novelle des Universitätsgesetzes, dessen Begutachtungsfrist schon Mitte Jänner 2021 endet, plant eine Befristung für Lektorinnen und Lektoren auf sechs Jahre. Noch ist es nicht zu spät, das zu verhindern.

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Stellen Sie sich vor. Die Universität. Eine große Institution, eine Institution aus Institutionen. Sie kennen die Gebäude oder Sie haben vielleicht selbst studiert. Sie kennen eines, mehrere von innen, sie kennen die Institute, jedes anders, kleine intellektuelle Kosmen vor allem aus Studierenden, Professorinnen und Professoren, Assistenten und Assistentinnen. Sie unterrichten, forschen, schreiben Aufsätze und Bücher, sind an Forschungsprojekten beteiligt, initiieren andere. Sie sammeln, organisieren, stellen Wissen her, das sie prüfen, sie sind mit Prüfen beschäftigt, nicht nur mit der Prüfung derer, die das geprüfte Wissen bewahren, verwenden, weitergeben sollen, sondern auch mit der Prüfung der eigenen Methoden, des eigenen Vorgehens, das sie stets hinterfragen müssen, vergleichen mit anderen Methoden, weiterentwickeln, denn Wissen ist etwas, das nicht statisch existiert, es muss bewegt, diskutiert, geprüft und immer wieder verändert werden, weil sich die Welt verändert, die Gesellschaft, weil sich die Menschen selbst verändern, die forschen. Doch sind es nicht die Professorinnen und Professoren allein, die forschen und lehren, auch wenn der Volksmund jeden, der an der Universität und Schule unterrichtet, als Professor bezeichnet. Daneben arbeiten zahllose Forschende und Lehrende, die ebenso an der wissenschaftlichen Substanz der Universität, an der Lehre und dem intellektuellen und gesellschaftsrelevanten Leben der Universität beteiligt sind wie jene. Die Rede ist von den sogenannten Lektorinnen und Lektoren.

Nicht weniger als 40 Prozent der universitären Lehre geht in Österreich auf ihr Konto. Und auf ihr Konto? Nun, auf ihrem Konto landet nicht gerade viel, nicht viel an Möglichkeiten und nicht viel an Geld, aber doch so viel oder wenig, dass sie, die meist nur zwei Wochensemesterstunden arbeiten, manchmal vier und selten sechs, es nicht sein lassen wollen und oft auch nicht können. Es sind Forscherinnen und Forscher unterschiedlichen Alters, viele mit langjähriger Erfahrung in verschiedenen Projekten. Oder frisch ausgebildete Doktorandinnen und Doktoranden. Was sie als Gruppe kennzeichnet, ist wahrscheinlich genau das: Dass sie nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Es sind daher auch gerade sie, die die Universität so vielfältig und interessant machen. Denn sie bringen unterschiedliche Wissens-, Berufs- und Forschungserfahrungen mit. Es können Leute vom Radio sein, die den Studierenden etwas über das Radiomachen erzählen und die sich wissenschaftlich intensiv mit ihrem Arbeitsfeld beschäftigen, es können Forscher aus der Grundlagenforschung sein oder welche, die in anderen, nicht universitären Forschungsinstitutionen arbeiten. Sie nehmen das Wissen der Universität aus der Universität in ihre Lebens- und Forschungszusammenhänge und in andere Kontexte mit, und sie bringen ihre Erfahrungen aus jenen in die Universität hinein.

Ein Modell lebendigen Austauschs soll zum Erliegen gebracht werden

Dieses Modell des lebendigen Austauschs steht nun mit der geplanten Universitätsnovelle auf dem Spiel und die Vorstellung einer Universität der Vielen und vielen Verschiedenen, soll, so der „Master“-Plan, in eine „Universität“ der Wenigen umgewandelt werden. Der Gedanken dahinter, so suggeriert der Gesetzesentwurf, ist die bürokratische Vereinfachung der Verwaltung und die Beendigung der sogenannten Kettenvertragsregelung, die den Lektoren schon lange und zu Recht ein schmerzhafter Dorn im Auge ist. Bedeutet sie doch, dass nach acht Jahren Lehre eine Zwangspause von einem Jahr eingelegt werden muss. Der Zynismus der nunmehr geplanten Regelung: Man möchte die Lehrdauer stattdessen gleich insgesamt auf sechs Jahre im Leben eines Lektors beschränken. Stellen Sie sich vor, Sie unterrichten sechs Jahre an einer Universität, sei es im Rahmen eines Forschungsprojekts, sei es als freier Lektor und stehen nun vor dem aus?! Stellen Sie sich vor, sie sind 50 Jahre alt? 40? 60? 25? - und haben eine Menge Forschungs- und Lehrerfahrung gesammelt oder würden dies gerne tun. Und sie erfahren nun, dass Sie nach sechs Jahren nicht mehr unterrichten können, unabhängig davon, wie lange Sie schon für die Universität gearbeitet haben oder was Sie später vorhaben. Stellen Sie sich vor, was diese vielen Lektorinnen und Lektoren nun machen. Etwas anderes, nur was? Wo es für viele ein existenzsichernder Teil ihres Einkommens war. Sicher, werden Sie vielleicht sagen, einige von diesen werden dafür doch nun dauerhaft in den Universitätsbetrieb aufgenommen werden, da man sie braucht. Doch was ist mit den vielen Anderen? Sind es doch gerade diese atypischen Lebensläufe in der universitären Lehre, die diese zu dem macht, was sie ist.

Die angepasste Universität

Man möchte also das Atypische nicht. Man möchte vor allem die Osmose von Universität und Gesellschaft nicht. Man möchte lieber Radiowissenschaftler, die nicht beim Radio arbeiten, um beim Beispiel von oben zu bleiben, die vor allem keine langjährige Expertise aus ihren Berufsfeldern und langjährige Lehrerfahrung mitbringen. Man möchte auch keine öffentliche Diskussion über das, was Universität sein kann, sein soll, wohin sie zu entwickeln wäre, denn man stellt auf die Funktion und Effizienz ab, die sogenannte Exzellenz, die man als Modell konstruiert, ohne zu bemerken, dass Exzellenz, Einfluss von außen braucht, Vielfalt, Offenheit, Wagnis und Mut. Die neue Universität wird dahingegen zum Mittelmaß verdammt, wie man es beispielsweise mit der Einführung der sogenannten senior lecturer-Stellen schon auf den Weg gebracht hat. Also mit schlecht bezahlten Lehrkräften, die für nichts als die Lehre zuständig sind und sich darin verausgaben sollen, während die eigentliche Forschung anderen überantwortet ist. Doch Universität setzt sich aus Forschung und Lehre zusammen, universitas, und aus dem Austausch mit den Studierenden, anderen Wirklichkeits-, Lebens- und Wissensbereichen und untereinander. Den Ausschluss einer Unzahl von Lehrenden und Forschenden aus dem Lehrbetrieb wird der Universität nicht zu mehr Schlankheit verhelfen, wie es sich das neue Ideal der Effizienz verspricht. Sie wird zu intellektueller Verdünnung führen, denn die Arbeit der vielen Intellektuellen, die ihre Arbeitskraft bislang für wenig Lohn und äußerst prekäre Arbeitsverhältnisse der Universität zur Verfügung gestellt haben, ist in Summe bis dato eine ihrer wirklichen lebendigen Ressourcen. Für ihren Einsatz werden Lektorinnen und Lektoren nun mit Missachtung ihrer Kompetenzen und Interessen belohnt, was leider Tradition hat.

Noch ist es nicht zu spät

Noch ist es aber nicht ganz zu spät, da das Gesetz noch in Begutachtung ist. Warum aber ist es so knapp geworden, dass man von der Universitätsnovelle erfahren hat? Schon Mitte Jänner könnte diese jedenfalls Wirklichkeit werden. Statt also auf Lektoren-Vertreter zuzugehen und sie zur Einbringung ihrer Position einzuladen, nützte man die Weihnachtszeit wenig weihnachtlich dazu, sich der Kritik zu entziehen, um über sie zu bestimmen. Werden die Lektorinnen und Lektoren das mit sich machen lassen? Werden Sie, nachdem man sie Jahrzehnte lang mit Niedriglohn und Prekarität und der grandios absurden Kettenvertragsregelung gegängelt hat, nun spalten lassen? Und hinzu kommt, dass die Projektmitarbeiter, aber auch Universitätsassistentinnen, Universitätssportlehrerinnen oder Sprachlehrer in derselben misslichen Lage sind. Auch sie würden mit dem neuen Gesetz die Möglichkeit, nach sechs Jahren Lehre weiter zu unterrichten, verlieren. Auch sie sitzen im selben Boot und werden hoffentlich nicht zusammen die Lehre daraus ziehen, dass es schon zu spät ist, wirksam Einspruch zu erheben. Noch ist es glücklicherweise nicht zu spät. Aber es braucht ein breiteres Bewusstsein an und über die Universität hinaus für die Rolle, Zukunft, den Beitrag aller dieser Lehrenden, um zu begreifen, was für eine große Vitalität in der freien Lehre steckt, welche exzellente Lehre, um den Begriff wieder alltäglich und präzise zu gebrauchen, gerade von ihr ausgeht, und wie wenig es eine sogenannte schlanke Universität braucht, die vor lauter scheinbar guter Organisation und nahezu perfekter Selbstdarstellung nach außen mehr und mehr auf ihre substanziellen, gesellschaftlichen Aufgaben vergisst, und nun ein Exemplum dafür liefert, wie man in der Selbstorganisation und Organisation dieser Novelle das kleine Einmaleins demokratischen Zusammenlebens ignorieren kann.

Was soll das für eine Universität werden? Nein, die Universität gehört allen, sie soll offen sein und offener werden, einladend, kritisch, vielfältig, kontroversiell. Es braucht die freie Lehre, es braucht die Lektoren und alle andere derzeit befristet Angestellten, und es braucht für diese 40 Prozent Lehrenden an den Universitäten die Garantie für sichere, vorausplanbare und dauerhafte Arbeitsverhältnisse mit einem gerechten Lohn. Und das ganz sicher ohne zwangsverordnete Befristung der Verträge auf sechs Jahre. Nichts weniger.

Michael Hammerschmid ist Dichter und Kurator des Lyrikfestivals Dichterloh und unterrichtet am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst.

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