Italien

Knapp vor Platzen der Koalition beschließt Italien ein gigantisches Corona-Hilfsprogramm

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Die Regierung in Rom hat in der Nacht auf Mittwoch satte 223 Milliarden Euro gegen die Coronakrise freigegeben. Allerdings hat Premier Giuseppe Conte damit die fragile Koalition einer gefährlichen Zerreißprobe ausgesetzt.

Die italienische Regierung hat ein gigantisches Konjunkturprogramm zur Überwindung der Corona-Krise beschlossen. Das Kabinett in Rom billigte in der Nacht zum Mittwoch das Maßnahmenbündel mit einem Volumen von 222,9 Milliarden Euro, wie Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri im Onlinedienst Twitter mitteilte.

Allerdings hat Ministerpräsident Giuseppe Conte mit dem Vorhaben
seine Regierungskoalition einer Zerreißprobe ausgesetzt. Der
Juniorpartner Italia Viva (IV) hatte im Vorfeld der Kabinettssitzung
Front gegen das Konjunkturprogramm gemacht. Die IV-Ministerinnen
Teresa Bellanova (Agrar) und Elena Bonetti (Familie) enthielten sich
dann während des Kabinettsvotums.

Bis zuletzt hatte es auf Messers Schneide gestanden, ob die zermürbende Machtfehde innerhalb der Koalition nun endgültig eskalieren und die Koalition platzen würde. Der IV-Chef und frühere Ministerpräsident Matteo Renzi hatte im Vorfeld der Kabinettssitzung mit dem Ausstieg seiner Partei aus der Koalition gedroht. Spätestens am Mittwoch Abend wollte der Ex-Premier bekanntgeben, ob er – wie seit Wochen angedroht – seine zwei Ministerinnen aus dem Bündnis entfernen und mitten in der Pandemie und tiefer Wirtschaftsmisere eine Regierungskrise auslösen würde. 

Knackpunkt „Recovery Plan"

Der Streit dreht sich um das Programm zur Nutzung der milliardenschweren EU-Wiederaufbaugelder. Entweder greife Italien auf das Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zurück, um mehr Ressourcen in das Gesundheitssystem investieren zu können, oder "Italia viva" werde gegen den "Recovery Plan" stimmen, hatte die Renzi-Partei gedroht. Gegen den Zugriff zum ESM wehrt sich die regierende 5 Sterne-Bewegung, stärkste Einzelpartei in der italienischen Koalition, vehement. Sie behaupten, Italien würde damit riskieren, sich wie einst Griechenland von der "Troika" aus Währungsfonds, EU und Zentralbank bevormunden zu lassen.

Würde die IV die Koalition platzen lassen, würde die
Conte-Regierung ihre Mehrheit im Senat verlieren. Allerdings hatte
Conte das Konjunkturprogramm unter dem Druck der IV zuletzt noch
überarbeiten lassen. Unter anderem wurden die darin vorgesehenen
Mittel für das Gesundheitswesen aufgestockt.

Das Verhältnis zwischen Italia Viva und den populistischen Fünf Sternen ist seit jeher angespannt. Vor allem macht Ex-Linksdemokraten-Chef Renzi aber kein Geheimnis daraus, wie wenig er vom parteilosen Conte hält.

Schaden für Italiens Image


Diese internen Zankereien inmitten der Coronakrise schaden Italiens Glaubwürdigkeit massiv. Zumal die Beziehungskrise ausgerechnet an einem Streit über die Ausgaben der EU-Coronahilfen eskalierte.

Renzi war nicht damit einverstanden, wie Conte die Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds einsetzen will, er forderte unter anderem mehr Geld für den Gesundheitsbereich. Zudem pocht Renzi darauf, günstige Darlehen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Anspruch zu nehmen – was die Fünf Sterne verweigern. Sie sehen im ESM ein Instrument der verhassten „EU-Spar-Troika“. 

Keine neue Regierung mit Renzi

Auch Conte setzte vor der Abrechnung am Abend strategische Schritte: Nicht nur besserte er den Finanzierungplan nach, um Renzi entgegenzukommen. Sondern er sendete ebenfalls Drohbotschaften: „Wenn Renzi geht, dann wird es keine neue Regierung mit ihm geben“, ließ er verlauten.

Auf eine Regierungsumbildung hatte Renzi aber gesetzt, denn davon erhoffte er sich mehr Macht und Gewicht für seine Minister. Den Weg der Neuwahl will auch der Ex-Premier nicht gehen: Seine Partei liegt in Umfragen bei etwa drei Prozent, die politische Krise dürfte wenig zu seiner geringen Popularität beigetragen haben. Bei einem Urnengang würden wohl die Rechtsparteien unter Führung von Lega-Chef Matteo Salvini gewinnen.

Renzi hatte bisher fix mit einer Neuauflage der Regierung – am besten ohne Conte – gerechnet, da auch Staatschef Sergio Mattarella keine Wahlen inmitten der Pandemie will. Der Präsident drängte daher darauf, dass zumindest der Recovery-Plan zügig verabschiedet werde, damit dieser Brüssel vorgelegt werden kann und Italien das Geld erhält. Bevor Renzi die Koalition sprenge, solle er bitte noch zustimmen, bat er.

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