Uran

Vom Element zur Energie

Die Beziehung ist ambivalent: Es schützt und bedroht das menschliche Leben zugleich. Es ist kaum greifbar, doch liefert jede Menge Energie. Gemeint ist: das Uran. Eine Spurensuche vom Kosmos ins Kraftwerk.

Von Florian Koch

Es liegt in der Erdkruste, verborgen in Gestein. Auch Meerwasser enthält es. Man findet es auf fast allen Kontinenten, selten ist es nicht. Ein Schwermetall – schwerer als Blei, weicher als Stahl. Von Natur aus leicht radioaktiv, zerfällt es über mehrere Milliarden Jahre hinweg. In Elemente, die wiederum zerfallen. Nur ein Kilogramm liefert so viel Strom wie 16.000 Kilogramm Steinkohle. Es ist das Element, das den Brennstoff für die Kernkraft liefert: Uran.

Wie alle Elemente stammt es aus dem Weltall. Lang gingen Wissenschaftler davon aus, dass Uran einer Supernova entsprungen ist. Eine Supernova markiert den Tod eines Sterns, also den Zeitpunkt, wenn er explodiert. Radioaktives Material verteilt sich als interstellarer Staub im Kosmos und lagert sich in Gesteinen ab. Wurde Uran vor Jahrmillionen so ein Teil unserer Erde? Mittlerweile ist sich die Wissenschaft nicht mehr sicher. „Es müsste in kosmischen Ereignissen geschehen, die viel seltener sind“, erklärt Karin Hain, Isotopenphysikerin an der Universität Wien. Anhand eines Plutoniumisotopes habe man gezeigt, dass die Elementklasse der Aktiniden, zu der auch Uran gehört, auf der Erde eigentlich zu wenig vorkommt. Daher würden sie eher nicht aus Supernovae stammen. Mit ihren Kollegen nutzt Hain Uran und dessen Spaltprodukte, um etwa Auswirkungen der Klimakrise auf Meeresströmungen zu untersuchen.

Nach gegenwärtigem Verständnis sind Physiker wie Hain davon überzeugt: Ohne radioaktive Elemente wie Uran wäre die Erde ein unwirtlicher Ort. Die Radioaktivität von Uran und anderen Elementen sorgt dafür, dass das Erdinnere flüssig bleibt. Anders könne man nicht erklären, dass das Magma noch nicht abgekühlt sei, sagt Hain. Erst durch die inneren Strömungen entstehe das Erdmagnetfeld, das uns vor Strahlung aus dem Weltall und von der Sonne abschirmt. Ob der Mensch sich ohne diesen Schutz entwickelt hätte, ist unklar.

Uran-Abbau auf Kosten der Umwelt

Das Element kommt auf der ganzen Erde vor, doch die größten Reserven befinden sich in Australien (1.692.700 t), Kasachstan (906.800 t) und Kanada (564.900 t). Wo immer Uran aus dem Boden geholt wird, werden weite Landflächen benötigt. Denn nur ein winziger Teil des geförderten Uranerzes, das Isotop Uran-235, eignet sich bisher für die Kernkraft. „Für eine Tonne Kernbrennstoff in einem Atomreaktor braucht es mehrere Tausend Tonnen Uranerz“, erklärt Reinhard Uhrig, Atomkraftexperte bei Global 2000. „Je nach Urangehalt bis zu 10.000 Tonnen. Das muss erst einmal aus dem Boden gerissen werden.“

Erze, die nach dem Abbau nicht benötigt werden, bleiben als Abfallprodukte vor Ort. Sie werden auf Halden oder flüssig in Schlammbecken deponiert. Gehen Minenbetreiber pleite, verfallen die Minengelände und die Teiche trocknen aus. Was übrig bleibt, ist radioaktiver Staub, der vom Wind vertragen wird. Mancherorts brechen Dämme und radioaktives Wasser flutet das Umland. Mit schweren gesundheitlichen Folgen für Minenarbeiter und die angrenzende Bevölkerung.

Uran in Österreich?

Auch in Österreich gibt es Uran. Jedoch so wenig, dass sich der Abbau nicht lohnt. „Es sind keine wesentlichen Vorkommen, die eine wirtschaftliche Ausbeutung rechtfertigen würden“, meint David Reinberger von der Wiener Umweltanwaltschaft. In den 1960er/70er Jahren, als Österreich ein eigenes Kernenergie-Programm auf die Beine gestellt hat, habe man geprüft, ob es Vorkommen gibt. Teils mit Erfolg. Doch es kam ohnehin anders. Das Atomkraftwerk Zwentendorf ging nach der Volksabstimmung von 1978 nie ans Netz. Seit 1999 gilt das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich. Es untersagt den Betrieb von Leistungsreaktoren und den Transport von spaltfähigem Material. Explizit ausgeschlossen wird der Abbau von Uran durch das Gesetz jedoch nicht.

Noch Jahrzehnte später leiden sie unter Folgeschäden wie Krebs- oder Atemwegserkrankungen. Das ist etwa bei Arbeitern der Fall, die nach dem Zweiten Weltkrieg im ostdeutschen Erzgebirge für das Unternehmen Wismut Uran abbauten.

Neben dem Tief- und Tagebau nutzen Minenbetreiber den Lösungsbergbau, um das Uranerz effizienter zu gewinnen. Dabei wird unter hohem Druck Säure in Bohrlöcher gepumpt, wodurch das Uranerz gelöst und herausgedrückt wird. Umweltschonend ist diese Methode nicht. „Man könnte sogar sagen, dass es noch problematischer ist als traditioneller Bergbau“, sagt Uhrig. Es führe zu weiträumiger Verseuchung der Umgebung und des Bodens.

Uranproduktion weltweit

Laut der World Nuclear Association wurden in Kasachstan, Kanada und Australien im Jahr 2019 am meisten Uran gefördert. In Europa mischten Tschechien und Rumänien lange bei der Produktion mit, 2019 förderte nur noch die Ukraine Uran zutage. Viele Staaten setzen auf Atomkraft und sind damit von Uran-Importen aus dem Ausland abhängig. Besonders deutlich zeigen das Zahlen aus den USA: Im Jahr 2018 wurden hier nur 582 Tonnen Uran produziert, aber knapp 20.000 Tonnen verbraucht.

Vom Yellowcake zu Pellets

Das abgebaute Uranerz wird chemisch aus dem Gestein gelöst. Je nach Verfahren mit Säure oder Lauge. Die Flüssigkeit durchläuft verschiedene Reinigungsverfahren, bis schließlich Ammoniak beigefügt wird. Bei der chemischen Reaktion entsteht ein gelbes Pulver, der „Yellowcake“. So nennt man das herausgelöste Uran.

Gelbes Pulver: Das gewonnene Yellowcake
Gelbes Pulver: Das gewonnene Yellowcake(c) imago stock&people

Neben sogenannten Diffusionsverfahren ist es der gängigste Weg, das Uran mittels Zentrifugen anzureichern. Das bedeutet, die Konzentration des spaltbaren Isotops Uran-235 von 0,7 Prozent auf ca. drei Prozent zu erhöhen. Ein Kernkraftwerk benötigt pro Jahr rund 20 Tonnen angereichertes Uran, knapp 55 kg pro Tag, um rund 8,5 Milliarden Kilowattstunden Strom zu produzieren. Für die Anreicherung lässt man das Yellowcake zunächst mit Fluor reagieren, wodurch das Gas Uranhexafluorid entsteht. Dieses wird nun in verschiedenen Zentrifugen nacheinander rotiert. Wurde genug U-235 gesammelt, überführt man das Uran mittels chemischer Reaktion wieder in Uranoxid, das zu Pellets gepresst wird. Diese werden dann in Rohre eingefüllt. Ein paar hundert Rohre werden gebündelt: Das sind die Brennstäbe, die in den Kernreaktor eingeführt werden.

Doch wie genau wird aus Uran Energie gewonnen? Am einfachsten lässt sich der Urankern mit einem Wassertropfen vergleichen. Im Reaktor fängt der Kern ein langsames Neutron ein. Der Wassertropfen wird durch das zusätzliche Neutron in so starke Schwingungen versetzt, dass er platzt. Es entsteht Energie, die an das Kühlwasser abgegeben wird. Wasserdampf steigt auf, der eine Turbine antreibt und über einen Generator Strom erzeugt. Wie der Journalist Karl Grossman die Atomenergie einmal beschrieb: „Es ist einfach die gefährlichste Art, Wasser zu kochen, die je entwickelt wurde.“

Gefährlich, das sind nicht nur Reaktorunfälle, wie sie in Tschernobyl und Fukushima passiert sind. Problematisch ist auch der radioaktive Abfall, den die Spaltung von Uran im Kernkraftwerk hinterlässt. Er strahlt über mehrere Millionen Jahre hinweg und ist damit ein Problem für künftige Generationen. Der Abfall muss an einem sicheren Ort eingeschlossen werden, wo er kein Risiko für Mensch und Umwelt darstellt. Am besten unter der Erde, umgeben von Ton, Salz oder Granit. Länder wie Deutschland suchen derzeit noch nach einem solchen Endlager, das die geologischen Voraussetzungen erfüllt.

Die endliche Geschichte

Derzeit lässt sich schwer sagen, wie lang die Uranreserven für die Kernenergie noch reichen. „Es kommt auf die Annahmen an, die man hat“, sagt Uhrig. „Geht man davon aus, dass man die derzeitigen Reaktoren weiterbetreibt, gehen die Schätzungen in Richtung 50 bis 60 Jahre.“ Seriös ließe sich keine Prognose stellen – es komme aber immer darauf an, wie genau die Kernreaktoren betrieben werden. Uhrig vertritt die These, dass man letzten Endes mehr Uran in der Erde lassen werde, da Atomkraftwerke nicht mehr wirtschaftlich seien. „Solarkraft ist in den letzten zehn Jahren um 90 Prozent billiger geworden, Windkraft um 70 Prozent. Atomkraft wurde in der gleichen Zeit um 26 Prozent teurer“, sagt Uhrig.

Schon heute gilt: Je schwerer das Uran zu fördern ist, desto weniger rentabel ist der Abbau. Es bleibt eine Frage des Geldes: Zuletzt lag der Uranpreis bei knapp 17 Euro pro Kilo. Bleibt er unter 80 Euro, bleibt auch das Uran eher im Boden. In Pilotprojekten wurde bereits erfolgreich Uran aus Meerwasser gewonnen. Doch auch hier lohnt sich die Filterung erst ab mehreren Hundert Euro pro Kilo. Zumal es mit einem großen Energie- und Ressourcenaufwand verbunden ist. „Irgendwann ist der Aufwand finanziell und energetisch einfach zu groß, um das Uran zu gewinnen“, sagt David Reinberger von der Umweltanwaltschaft.

Ein menschengemachtes Problem

Kein Wunder, dass die Nuklearindustrie auf Alternativen hofft. Kerne, die sich genauso leicht spalten lassen, gebe es schon, sagt Hain. „In den Variationen ist man aber limitiert. Man muss etwas haben, was natürlich vorhanden, aber instabil genug ist, dass es spaltet. Wirklich zur Verfügung hat man in den notwendigen Mengen nur Uran und Thorium.“ In der Erdkruste kommt Thorium häufiger als Uran vor. Es ließe sich zwar für die Kernkraft aufbereiten, erfordert jedoch neue Reaktortypen, deren Entwicklung wiederum viele Jahre dauert. Es bleibt wie bisher: Die Nuklearindustrie ist auf Uran angewiesen.

Unter noch ungeklärten Umständen gelangte Uran aus dem Weltall auf die Erde, wo es lang unangetastet ruhte. „Negativ ist, was der Mensch daraus gemacht hat“, sagt Hain. Wie unzählige andere Rohstoffe macht sich der Mensch Uran zunutze. Er verwandelt es in eine verwertbare Energiequelle. Durch sein Eingreifen geschieht das weltweit auf Kosten von Mensch und Natur. Indem er das Uran ans Tageslicht holt, schafft der Mensch ein Problem, mit dem künftige Generationen leben müssen. Doch wie man es auch auslegt: Uran ist ein Teil unseres Planeten. So wie die Menschen, die darauf leben.

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