Endlagerung

Atomares Endlager – ein Haus ohne Toilette

(c) Marin Goleminov
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Weltweit warten Zehntausende Tonnen hochradioaktiver Abfälle seit Jahrzehnten darauf, sicher eingelagert zu werden. Frankreich glaubt nun, eine langfristige Lösung gefunden zu haben.

Von Valerie Heine

Wir schreiben das Jahr 2040. Seit zehn Jahren ist das Projekt „Cigéo“ nun in Betrieb. Zweimal pro Woche bringen mehrere Schwertransporte tonnenweise Nachschub nach Bure, einer kleinen Stadt im Nordosten Frankreichs, wo das Material in einer Tiefe von 500 Metern eingelagert wird. Der Ort gleicht seit der Inbetriebnahme des Lagers einer Geisterstadt. Die meisten Bewohner des ohnehin schon dünn besiedelten Gebiets sind längst umgezogen. Geflohen sind sie aber nicht etwa vor der Lärmbelästigung durch die Transporte, sondern vor der unsichtbaren Gefahr, die von ihnen ausgeht. Die Züge bringen über ein Jahrhundert hinweg drei Prozent des hochradioaktiven Abfalls Frankreichs nach Bure. Wie viel Strahlung beim Transport in die Umwelt abgegeben wird, weiß niemand so genau. Wie hoch der Schaden für die Umgebung wäre, sollte bei der Lagerung radioaktives Material aus den gelben Tonnen austreten und ins Grundwasser gelangen, will sich niemand ausmalen. „Cigéo“ ist die Endstation für die Schattenseite der Forschung – hier liegt eines der ersten atomaren Endlager der Welt.

So oder so ähnlich könnte die Zukunft von Bure aussehen, sollte die französische Regierung ihr Vorhaben bis 2025 durchsetzen. Frankreich ist bekannt für seine Mode, die „Joie de vivre“ und gutes Essen – gemeinhin also für die schönen Dinge des Lebens. Die Atomenergie hat hier aber länger Tradition als die Beleuchtung des Eiffelturms. Bereits 1956 wurde das erste französische Atomkraftwerk in Betrieb genommen. Mit 56 an der Zahl hat kein anderes Land mehr AKW pro Kopf und nutzt Atomenergie in einem derart hohen Maß wie die Grande Nation.

Wer so viel radioaktiven Abfall produziert, muss diesen auch wieder loswerden. Bis dato gibt es aber noch keine Antwort darauf, was mit den 1,3 Kubikmetern Atommüll auf Dauer passieren soll. Weltweit ist bis heute kein einziges Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb. Die Gefahr eines Lecks ist nach derzeitigem Forschungsstand noch zu hoch. Zurzeit werden radioaktive Materialien wie verbrauchte Brennstäbe nur zwischengelagert, bis die Wissenschaft langfristige Alternativen findet, die eine sichere Verwahrung garantieren.

Eine interaktive Karte aller atomaren Lager in Europa:

Ein Fass ohne Boden

Frankreich glaubt für das Problem nun eine Lösung gefunden zu haben, die unter Experten umstritten ist. Der Atommüll soll für die nächsten 100.000 Jahre in Ton versenkt werden. Dabei hat die Regierung ihre Rechnung aber ohne ihre Bürger gemacht. Denn ein kleines französisches Dorf hört nicht auf, gegen das Vorhaben Widerstand zu leisten. Unweit der deutschen Grenze liegt der Ort Bure. Hier soll bis 2025 das Endlager Cigéo entstehen, das bis zu 80.000 Kubikmeter hochradioaktiven Abfalls beherbergen kann. Die Folgen, die ein solches Projekt auf zukünftige Generationen haben wird, sind aus heutiger Sicht unmöglich abzuschätzen. Während die Betreiberfirma des Projekts die Sicherheit der Lagerung beteuert, weil die Feuchtigkeit im Ton sehr langsam voranschreitet, sehen Experten genau diese Beschaffenheit des Bodens als Gefahrenquelle an.

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) sieht das weniger kritisch. Bei den Entsorgungsoptionen von radioaktivem Abfall komme es auf „Unterschiede in den Eigenschaften der verschiedenen Abfallarten, die Besonderheiten der nationalen Gesetzgebung und geologische Unterschiede an“.

Seit der Jahrtausendwende untersucht die französische Atomgesellschaft den Standort Bure auf seine Eignung. Für den Standort spricht die Abgeschiedenheit und dünne Besiedelung des Gebietes – Faktoren, die die Risken bei einem Zwischenfall verringern könnten. Die 84 Einwohner der Gemeinde wollen sich das aber nicht gefallen lassen. Gemeinsam mit Umweltschützern aus den angrenzenden Nachbarländern protestieren sie seit Jahren gegen das Vorhaben. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen, die nur mithilfe vor Ort stationierter Polizeibeamter in Schach gehalten werden können.

In einer Petition fordern Atomgegner, dass der radioaktive Abfall stattdessen dort eingelagert werden soll, wo er herkommt – in Atombunkern nahe den Reaktoren, in denen er produziert wird. Die Behörden stehen vor einem Interessenkonflikt, für den es schlichtweg keine Lösung geben kann, die alle Parteien zufriedenstellt. Denn niemand will das hochradioaktive Material vor seiner eigenen Haustüre.

Mehrere Schwertransporte pro Woche sollen ab 2025 rund 80.000 Tonnen hochradioaktiven Müll nach Bure bringen.
Mehrere Schwertransporte pro Woche sollen ab 2025 rund 80.000 Tonnen hochradioaktiven Müll nach Bure bringen.© Maximilian Flores/Unsplash

Ernüchternde Ausblicke

Reinhard Uhrig, Leiter der politischen Abteilung und der Presseabteilung von Global 2000, vergleicht die atomare Endlagerung nach einem japanischen Sprichwort mit einem Haus ohne Toilette. „Derzeit gibt es noch kein einziges funktionierendes Atommüllendlager für hochradioaktiven Müll – und das über 60 Jahre nach Beginn der kommerziellen Nutzung der Atomkraft“, sagt der Experte. Der Schritt hin zur Atomkraft war eine Entscheidung, die die Zukunft der Menschheit auf Hunderttausende Jahre beeinflussen wird. Durch einen Ausstieg aus der Atomenergie können zwar zukünftige Katastrophen verhindert werden, das Problem der Endlagerung ist damit aber noch immer nicht gelöst. Gibt es also keinen Ausweg aus der Misere?

Fakt ist, einen Weg zurück gibt es jedenfalls nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt es vor allem Schadensbegrenzung zu betreiben, Verantwortung zu übernehmen und für die Zukunft zu lernen. Die meisten betroffenen Länder arbeiten seit Jahren daran, Lösungen für die Entsorgung des Atommülls der vergangenen 50 Jahre zu finden. Die Ansätze sind dabei aber sehr unterschiedlich. Während in Finnland etwa auch an einem viel kritisierten Endlager in Küstennähe gefeilt wird, beschäftigen sich Anti-Atom-Nationen wie Österreich weniger intensiv mit der Entsorgung ihres schwachradioaktiven Abfalls aus Forschung und Medizin und erhalten dafür Abmahnungen von der EU. Immer wieder tauchen Lösungsvorschläge wie die Entsorgung im All oder Ozean auf, die von Experten wieder zerschlagen werden. Während die Zeit drängt und der politische Druck steigt, werden die Alternativen zum klassischen Endlager immer weniger.

Die beiden Lager Cigéo in Frankreich und Onkalo in Finnland sollen in den nächsten Jahren in Betrieb genommen werden – mit oder ohne Zustimmung der Anrainer.

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