Flut in Pakistan: Und überall die Moskitos

(c) AP (Shakil Adil)
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In Pakistans Flutgebieten kehren die Menschen langsam in ihre Häuser zurück. Die Gefahr von Seuchen ist noch nicht gebannt. Brunnen sind verseucht. Ein Lokalaugenschein im Süden Pakistans in der Provinz Punjab.

Eine graue Plastikplane markiert die Trennlinie in Mohammad Jameels Welt. Über eine Leine gespannt schirmt sie den Innenhof des Mannes ab, in dem auf den ersten Blick alles in Ordnung scheint. Decken sind zum Trocknen ausgelegt, ein wackeliges Regal lehnt an der Lehmmauer.

Seine Frau und die sechs Kinder sind in das winzige Ziegelhaus vor der sengenden Mittagssonne geflüchtet. Hühner picken im Sand. Doch hinter Jameels Trennlinie aus Plastik stimmt gar nichts mehr. Dahinter beginnt die harsche Realität, die seit vier Wochen das Leben in weiten Teilen Pakistans lähmt.

Jameel schiebt die Plane weg und zeigt auf das, was sich vor seiner Haustür abspielt. Noch immer steht überall Wasser, das seine Familie vor wenigen Wochen überraschte und zur Flucht zwang. Ein schmaler, rutschiger Pfad führt von den Resten seines Hauses entlang einiger Tümpel zur Dorfstraße.

In einer Wüste aus Schlamm. Sein Dorf Kott Adu liegt im Süden der pakistanischen Provinz Punjab, etwa zwei Autostunden von der Stadt Multan entfernt. Die Flutwelle, die der Indus vom Norden durch halb Pakistan transportiert hat, hat längst das Meer erreicht. Doch weite Teile des flachen Südens Pakistans sehen noch immer aus wie ein riesiger See, aus dem unbewohnbar gewordene Häuser wie Inseln ragen. Wo das Wasser verschwunden ist, bleibt eine Wüste aus Schlamm.

Jameels Familie ist erst vor Tagen in ihr Dorf zurückgekehrt. 15 Tage lang harrten sie in einem Flüchtlingslager aus. Doch dann verbreitete sich die Nachricht, dass Diebe es auf leer stehende Häuser abgesehen hatten, und sie kamen zurück. „Wir wollen unser Haus wieder aufbauen“, sagt der hagere Mann und streicht seinen Schnurrbart zurecht. „Aber Geld haben wir keines.“ Auch von seiner kleinen Motorradwerkstatt ließ das Wasser nichts übrig.

Den meisten Dorfbewohnern geht es wie Jameel. Das Wasser hat nicht nur ihre Häuser weggespült, sondern auch ihre Lebensgrundlage. Bis die Flut kam, hatte Ghulam Akbar vom Geld gelebt, das sein kleiner Bauernhof abwarf. Getreide wird er noch länger keines säen können, die Tiere ertranken. Seine Familie campiert unter einem Baum. Sein Haus will er wieder aufbauen, vielleicht zuerst mit Lehm und später, wenn er sich's leisten kann, mit richtigen Ziegeln. „Aber wie kann ich etwas dafür sparen, wenn wir sowieso kaum über die Runden kommen“, meint der Bauer. Wie viele der Flutopfer hofft er auf Geld von der Regierung, um wieder durchzustarten.

Mit Säen ist noch lange nichts. Seine Felder wird er noch länger nicht bearbeiten können. Erst muss das Überflutungsgebiet gesäubert werden von Schwemmgut, Schlamm, Kadavern. „Wir müssen Traktoren und Bulldozer organisieren, die alles wegschieben“, sagt Iftikhar Arif. „Erst dann kann angebaut werden.“ Doch jetzt hat Arif, der im Bezirk Multan Hilfe organisiert, anderes vor. Heute steht die Verteilung von Lebensmittelpaketen an. Er hält einen Stoß Papier, in Listen trägt er ein, welche Familie wann Anspruch auf eine Schachtel hat. Nur wer eine Identitätskarte mit Familiennummer vorweisen kann, dem steht Hilfe zu.

In Zweierreihen hocken Männer im Schatten einer Mauer im Staub. Kein Gedränge, kein lautes Wort, das Militär überwacht die Verteilung. Einer nach dem anderen gibt seine Ausweiskarte ab. Erst, wenn die Nummer mit der Liste übereinstimmt, wird man aufgerufen und kann Ausweis samt Paket holen. Abseits stehen Frauen und halten ihre Ausweise in die Höhe, um vielleicht auch etwas abzubekommen.

Ein Wartender verlässt seinen Platz, will etwas erzählen. Seine traditionelle Kurta ist staubig, mit einem Tuch wischt er sich Schweiß von der Stirn. „Wir wurden nicht gewarnt, dass wir unsere Häuser verlassen sollen“, sagt er aufgebracht. Erst im letzten Moment hätten die Behörden die Leute aufgefordert, die Häuser zu verlassen. Da war es zu spät, um etwas retten zu können außer dem eigenen Leben. Der Mann ist wütend auf die Regierung, die die Gefahr des Indus nicht rechtzeitig einschätzte.

Mit einer Breite von 18 Kilometern statt wie üblich 800 Metern walzte der Fluss durch die Provinz und brachte Dämme zum Bersten. Das Flutwasser hat Brunnen verseucht. Sanitäre Anlagen sucht man vergebens. Immer mehr Menschen, speziell Kinder, erkranken, da sie Schmutzwasser trinken. „Vier meiner Enkel sind wegen Durchfalls im Krankenhaus“, schluchzt Bakhat Bibi. Im Arm hält sie ihre kleinste Enkelin, die aus dem Spital entlassen wurde. Neben Durchfällen setzen vor allem Hautleiden, Augeninfektionen und Schlangenbisse den Menschen zu. Auch von Cholerafällen wird berichtet.


Explosion der Blutsauger. In den Tümpeln rund um das Haus von Mohammad Jameel brüten die Moskitos. Als könnte er sie aus seiner abgeschirmten Welt halten, schiebt Jameel seine graue Plastikplane zurecht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2010)

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