Bosnien und Herzegowina

Lipa-Chaos Gefahr für EU-Perspektive

Die teilweise lebensgefährliche Vernachlässigung von rund 1900 Migranten und Flüchtlingen im bosnisch-herzegowinischen Lager Lipa gefährdet die Aussicht des Landes darauf, Beitrittskandidat zu werden.
Die teilweise lebensgefährliche Vernachlässigung von rund 1900 Migranten und Flüchtlingen im bosnisch-herzegowinischen Lager Lipa gefährdet die Aussicht des Landes darauf, Beitrittskandidat zu werden.imago Images
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Die Verwahrlosung der Migranten durch die Behörden des Westbalkanstaats sorgt in Brüssel für wachsenden Ärger und eine leise Drohung.

Brüssel. Die teilweise lebensgefährliche Vernachlässigung von rund 1900 Migranten und Flüchtlingen im bosnisch-herzegowinischen Lager Lipa gefährdet die Aussicht des Landes darauf, Beitrittskandidat zu werden, warnte ein Sprecher der Europäischen Kommission am Freitag. „Die Situation der Migranten ist inakzeptabel. Wir haben kleine Fortschritte erzielt, zumindest ist ihr Leben nicht unmittelbar in Gefahr. Aber das ist nicht nachhaltig“, sagte er. „Das Thema hat bereits einen sehr negativen Einfluss auf das internationale Image Bosnien und Herzegowinas. Und es könnte seine europäischen Bestrebungen beeinträchtigen.“

Die Union hat allein seit dem Jahr 2018 für die Versorgung von Migranten und Flüchtlingen auf dem Boden des Westbalkanstaats 88 Millionen Euro aus ihrem Haushalt bereitgestellt. So gut wie der gesamte Betrag wurde an internationale Hilfsorganisationen überwiesen, die vor Ort arbeiten; die bosnisch-herzegowinischen Behörden erhalten aus dem Unionshaushalt fast nichts, weil man ihnen in Brüssel nicht traut. „Bosnien und Herzegowina hat noch immer keinen wirksamen Mechanismus, um sich dieses Problems anzunehmen“, sagte der Sprecher und kritisierte „die Unfähigkeit der Behörden, die nötigen Beschlüsse umzusetzen“.

Löchrige Armeezelte

Ein der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ vorliegender vertraulicher Bericht der Kommission listet zahlreiche Versäumnisse der lokalen Regierungsstellen auf. So seien viele der von der bosnisch-herzegowinischen Armee zur Verfügung gestellten 20 beheizten Zelte in einem mangelhaften Zustand. „Unglücklicherweise sind nicht alle Zelte in einem perfekten Zustand, und die Migranten beklagen, dass Wasser durch Löcher eindringt und die Luft verschmutzt ist, weil die Heizsysteme mit Kraftstoff angetrieben werden und keine Ventilatoren vorhanden sind.“ Das Land habe die Ratschläge und Einschätzungen der Lage durch die EU sowie andere internationale Partner nicht befolgt und stehe darum „jetzt im dritten Jahr hintereinander vor demselben Problem“.

Hinter vorgehaltener Hand äußert man in Brüssel große Verärgerung über die Manipulation des Elends der Migranten und Flüchtlinge durch lokale Politiker. Von „Sturheit“ und „Ignoranz“ hört man, die örtlichen Machthaber hielten die Migranten „als Geisel für ihre parteipolitischen und ethnischen Machenschaften“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2021)

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