Russland

Wer hat Angst vor Alexej Nawalny?

Alexej Nawalny landete in Moskau und wurde unmittelbar danach festgenommen.
Alexej Nawalny landete in Moskau und wurde unmittelbar danach festgenommen.APA/AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV
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Die "Spezialoperationen" gegen den Oppositionellen gelten als Indiz für die Unsicherheit der russischen Machthaber. Einerseits wird er als unwichtiger Blogger dargestellt, andererseits sofort nach Einreise in Gewahrsam genommen.

Von dem nach seiner Rückkehr nach Moskau sofort inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny fehlt nach Angaben seines Mitarbeiterstabs jede Spur. "Alexej ist schon seit 14 Stunden in Haft, ihm wurde nicht erlaubt zu telefonieren, obwohl alle Festgenommenen dieses Recht haben", teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch am Montag auf Twitter mit.

Nawalny wird in einer Polizeiwache in Chimki im Moskauer Gebiet vermutet. Aber es sei unklar, ob er wirklich dort sei, teilte der Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung (FBK), Iwan Schdanow, mit. "Niemand hat ihn dort gesehen", schrieb er auf Twitter. Die Anwältin Nawalnys, Olga Michailowa, beklagt seit Sonntagabend, dass sie ihren Mandanten nicht betreuen dürfe.

Offiziell stellen der Kreml und seine Sprachrohre Alexej Nawalny bloß als unbedeutenden Blogger dar. Doch gerade die Verrenkungen von russischen Behörden und Geheimdiensten, die am Sonntagabend unter anderem zur sofortigen Festnahme des nach Russland zurückgekehrten Oppositionellen führten, lassen wenig Zweifel: Russlands Regierende sehen Nawalny als reale politische Gefahr.

"Wen interessiert der schon?", erklärte Russlands Wladimir Putin und lächelte gezwungen. Die Tatsache, dass er von US-amerikanischen Geheimdiensten unterstützt würde, bedeute auch nicht, dass man ihn gleich vergiften müsse. Wenn man das gewollt hätte, wäre das wohl zu Ende geführt worden, antworte Putin Ende Dezember auf eine Journalistenfrage zur Rolle des Inlandsgeheimdiensts FSB bei der Vergiftung von Alexej Nawalny im vergangen Sommer.

Der Unaussprechliche

Einmal mehr vermied der russische Präsident damals, den Namen des Oppositionellen auch nur in den Mund zu nehmen - die Rede war lediglich vom "Patienten einer Berliner Klinik". Die traditionelle und hartnäckige Weigerung Putins, den Familiennamen "Nawalny" auszusprechen, ist rational kaum nachvollziehbar. Sie erinnert jedoch an archaische und abergläubische Vorstellungen von Sprache, der zu Folge das bloße Aussprechen von Namen den Benannten herbeirufen oder ihm Macht verleihen würde.

Aber nicht nur dieses Sprachtabu konterkariert die gebetsmühlenartigen Beteuerungen des Kreml, etwa von Putins Sprecher Dmitri Peskow, dass der "Blogger" politisch irrelevant wäre. Jene Methoden, die in den letzten Monaten gegen Nawalny eingesetzt wurden, künden davon, dass ihn Russlands Regierende als ernsthaften Störfaktor für das aktuelle Machtgefüge sehen.

Nawalny ignorierte Abschreckungsversuche

Anders wären die intensiven Aktivitäten des Strafvollzugs und von Ermittlungsbehörden kaum zu erklären, die in der traditionellen russischen Ferienzeit um Neujahr nichts unversucht ließen, um Nawalny mit der Androhung von mehrjährigen Gefängnisstrafen vor einer Rückkehr aus Deutschland nach Russland abzuschrecken. Auch die "Spezialoperation" am Sonntagabend, die kurzfristige Schließung des Moskauer Flughafen Wnukowo und die Umleitung von Nawalnys Linienflug aus Berlin zum Flughafen Scheremtjewo, zeugt von hohem administrativen Einsatz.

Insbesondere jene Indizien zum Giftanschlag auf Alexej Nawalny, die im Dezember von der Investigativplattform "Bellingcat" veröffentlicht wurden, legen eine Involviertheit höchster Kreise nahe. Die genauen Mechanismen werden erst nach einem etwaigen Machtwechsel in Russland oder der Öffnung der Archive in einigen Jahrzehnten bekannt werden. Die von Bellingcat beschriebene Operation gegen Nawalny, in die nicht nur FSB-Experten für chemische Kampfstoffe, sondern auch eine Fülle an Regionalabteilungen des Geheimdiensts involviert gewesen sein dürfte, wäre ohne Absegnung des von Wladimir Putin geleiteten Sicherheitsrats der Russischen Föderation kam vorstellbar. Dieses Gremium spielt eine vergleichbare Rolle wie seinerzeit das Politbüro der KPdSU, das in sowjetischen Zeiten für derart heikle Fragen zuständig war.

Laut dem unabhängigen Lewada-Zentrum wollten im Dezember lediglich 2 Prozent der Befragten bei einer etwaigen Präsidentschaftswahl für den Oppositionellen stimmen, Putins Werte lagen bei 39 Prozent. Aber nicht nur das gegen Nawalny eingesetzte Arsenal legt nahe, dass man auch im Kreml diese Umfrageergebnisse für nicht sonderlich relevant erachtet.

Wachsende Unsicherheit der Machthaber

Die gerade 2020 zu beobachtende Dynamik in Richtung eines noch autoritären politischen Systems, die Veränderungen der russischen Verfassung sowie der Beschluss von weiteren repressiven Gesetzen zeugt von einer wachsenden Unsicherheit der Machthaber, die meinen, ihren gewünschten Status quo nur mit noch repressiveren Werkzeugen erhalten zu können.

Gerade ein begabter Politiker wie Alexej Nawalny ist und bleibt hier ein massiver Störfaktor. Zumal er auch das Potenzial hat, bei freien und fairen Wahlen gut abzuschneiden. Als er 2013 bei den Wahlen zum Moskauer Bürgermeister antrat, kam er aus dem Stand auf 27 Prozent und auf Platz 2. Es war bisher die einzige Kandidatur des Politikers. Strafverfahren, die politisch motiviert wirkten, vereitelten seit damals jedes weitere Antreten Nawalnys.

Deutschland fordert umgehende Freilassung

Deutschland hat unterdessen die umgehende Freilassung Nawalnys gefordert. Russland sei durch seine eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an das Prinzip der Rechtstaatlichkeit und an den Schutz der Bürgerrechte gebunden, erklärte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Montag. "Diese Prinzipien müssen selbstverständlich auch gegenüber Alexej Nawalny zur Anwendung kommen. Er sollte unverzüglich freigelassen werden."

Nawalny sei nach seiner Genesung aus eigenen Stücken und bewusst aus Deutschland nach Russland zurückgekehrt, weil er dort seine persönliche und politische Heimat sehe. "Dass er von den russischen Behörden sofort nach Ankunft verhaftet wurde, ist völlig unverständlich", betonte Maas.

Maas erklärte weiter: "Nawalny ist Opfer eines schweren Giftanschlags auf russischem Boden geworden." Die deutsche Regierung erwarte weiterhin, "dass Russland alles tue, um diesen Anschlag vollumfänglich aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen." Der Fall Nawalny hatte zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und Russland geführt. Die deutsche Regierung und andere westliche Staaten sprechen von einem Mordversuch, bei dem Nawalny mit dem Nerven-Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden sei. Die Regierung in Moskau weist jede Verwicklung in den Vorfall zurück.

Zuvor hatten bereits die EU, die USA und auch das österreichische Außenministerium die Freilassung Nawalnys gefordert. Nawalny war am Sonntag kurz nach seiner Landung in Moskau am Flughafen festgenommen worden. Der 44-Jährige war seit August in Deutschland, wo er sich von einer in Russland erlittenen Vergiftung erholte. Russische Behörden hatten bereits im Vorfeld seines Flugs von Berlin nach Moskau eine Verhaftung Nawalnys mit Verweis auf anhängige Strafverfahren angekündigt. Dem führenden Kritiker von Präsident Wladimir Putin drohen dreieinhalb Jahre Haft.

(APA/dpa)

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