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Impfung: Noch kein Weg in den normalen Sommer

Premier Johnson macht sich ein Bild von der Produktion des Impfstoffs von AstraZeneca, der in der EU auf Zulassung wartet.
Premier Johnson macht sich ein Bild von der Produktion des Impfstoffs von AstraZeneca, der in der EU auf Zulassung wartet.(c) REUTERS (POOL)
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Die EU-Kommission will eine Impfquote von 70 Prozent erreichen – diese Woche beraten die Staats- und Regierungschefs über das fast aussichtslose Ziel einer solchen Herdenimmunität.

Brüssel/Wien. Das Ziel ist ehrgeizig, vielleicht zu ehrgeizig. Bis zum Sommer will die EU-Kommission erreichen, dass 70 Prozent der Erwachsenen in der EU gegen das Coronavirus geimpft sind. Schon bis März sollen 80 Prozent der Menschen über 80 Jahren immunisiert sein. Mit diesem Ziel, so der Plan, soll im Sommer eine annähernde Herdenimmunität erreicht werden, die einen Übergang zu einem normalen Alltag ermöglicht. Aktuell sind lediglich 1,23 Prozent der EU-Bürger geimpft, in einigen Ländern wie Frankreich nicht einmal ein Prozent.

Wie der Weg zur Herdenimmunität erreicht werden kann, soll am Donnerstag in einer Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs besprochen werden. Die großen Hürden sind die mangelnde Impfbereitschaft, die langsame Genehmigung von Impfstoffen, Lieferprobleme und die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche in die Strategie noch nicht einbezogen werden konnten.

Geringe Impfbereitschaft

Aktuell ist unwahrscheinlich, dass bis zum Sommer 70 Prozent der erwachsenen EU-Bürger überhaupt gewillt sein werden, sich impfen zu lassen. Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage ist die Zahl der Impfskeptiker in Europa höher als in anderen Teilen der Welt. Mit Ausnahme von Dänemark (75 Prozent) liegt die Bereitschaft in keinem EU-Land über dem angepeilten Wert. In Deutschland, dem größten Mitgliedsland, wollen sich 59 Prozent impfen lassen, wobei in diese Quote bereits jene eingerechnet wurden, die positiv eingestellt sind, aber abwarten wollen. In Frankreich sind es 57 Prozent, in Italien 62 Prozent und in Polen gar nur 49 Prozent. In Österreich ist laut dem Austrian Corona Panel Project der Uni Wien derzeit noch eine knappe Mehrheit impfskeptisch.

Die Bereitschaft könnte sich erhöhen, wenn beispielsweise ein einheitlicher EU-Impfpass eingeführt wird, der das Reisen in Europa für immunisierte Personen erleichtert, oder mehrere Länder Impfpflicht einführen. Sie könnte aber auch noch sinken, wenn sich wahre und falsche Berichte zu Nebenwirkungen verbreiten.

Langsame Genehmigung

Um das Ziel von 70 Prozent zu erreichen, ist eine rasche Genehmigung der bereits von der EU-Kommission reservierten 2,3 Milliarden Impfstoffe notwendig. Einige Mitgliedstaaten drängen, aber die Europäische Arzneimittelbehörde will sich ausreichend Zeit lassen. Zuletzt intervenierten Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie deutsche Politiker für eine umgehende Genehmigung des Impfstoffs von AstraZeneca. Derzeit ist dafür eine Bewertung für 29. Jänner vorgesehen. Der Impfstoff hat den Vorteil, dass er weniger tief gekühlt werden muss und dadurch in der Verteilung einfacher zu handhaben ist als beispielsweise jener von Pfizer/Biontech oder von Moderna, die bereits zugelassen wurden. Ausstehend sind noch die Genehmigungen für CureVac, Sanofi GSK und Johnson & Johnson, von denen insgesamt 725 Millionen Dosen von der EU vorbestellt wurden.

Lieferprobleme

Mehr als fraglich ist, ob bis Sommer überhaupt die notwendige Menge an Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Zuletzt haben Lieferengpässe bei Pfizer/Biontech den Optimismus zu einer raschen Produktion derart großer Mengen schwinden lassen. Allein Österreich soll bis März 1,2 Mio. Dosen der Hersteller Pfizer/Biontech und Moderna erhalten. Laut Bundeskanzler Kurz bräuchte es auch die reservierten zwei Millionen Dosen von AstraZeneca, um bis zum Frühjahr zumindest ältere Personen immunisieren zu können. Zwar wird in Deutschland ein neues Produktionswerk aus dem Boden gestampft, dass dieses aber rasch den Engpass beseitigen kann, ist unwahrscheinlich.

Junge nicht eingerechnet

Die EU-Impfstrategie hat zudem eine Lücke. Sie rechnet, wie „Die Presse am Sonntag“ zuletzt berichtete, die jungen Bürger unter 18 nicht ein. Grund ist, dass die bisher genehmigten Impfstoffe nicht ausreichend an jungen Personen und Kindern getestet wurden. Einige dürften auch nicht geeignet sein, weil der Stoffwechsel junger Menschen anders funktioniert und eine andere Dosierung notwendig macht. Zwar sind bei dieser Altersgruppe schwere Krankheitsverläufe selten, aber sie können das Virus ebenso verbreiten. Um das Problem zu verdeutlichen: Laut Eurostat haben die über 80-Jährigen, die aktuell geimpft werden, einen Bevölkerungsanteil von 5,8 Prozent, jene der unter 15-Jährigen einen Anteil von 23,5 Prozent. Könnten mehr Junge geimpft werden, wäre es für eine Herdenimmunität weniger dramatisch, wenn einige Ältere sich weigern.

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